Die Möwe von Tschechow...
Tomáš Hejzlar 15. Dezember 2004 zdroj Haló noviny
Die Möwe von Tschechow stieg in Bühnenhöhen auf
Die Brünner Inszenierung strotzte von moderner visionärer Regie zwar nicht, aber desto mehr bat sie den Raum für Phantasie der Zuschauer an – und über diese ist nicht hinwegzusehen.
Tschechow ist ja Meister der eigenartig wahrgenommenen Idyllik, die doch keine muffige Behäbigkeit signalisiert. Sie ist Dolmetscher von Idealen, die zu erleben und begreifen sind und zu denen man in Gedanken zurückkehren muss. Sie wurde eine Wiederspiegelung dessen, was ein Regisseur aus Tschechow auslesen kann, um den Zuschauer zu fesseln, aber nicht unnötig zu provozieren. Tschechow selbst ist in seinen Texten genug inpirativ. Der Regisseur Černín kam in den erwähnten drei Inszenierungen letzter Zeit dem Ausspruch von Sean O’Cassey vielleicht bestens nahe, dass „in der Anwesenheit von Anton Pavlovic Tschechow jeder Mensch die Sehnsucht in sich unwillkürlich findet, einfacher, wahrhaftiger und mehr sich selbst zu sein, also ohne buntes Kleid von Buchphrasen und modernen Wörtern sowie von allen anderen billigen Geistesgestörtheiten.
Die Übersetzung von Josef Topol wurde von Černín erheblich angepasst, respektive durchgestricht. Die Retuschen wurden doch empfindlich realisiert, beinahe pietätvoll mit Verständnis für dramatische Abkürzung, für Akzeleration der Entwicklung. Der Prinzip der Eröffnungsszene „Theater im Theater“, wann der Zuschauerraum noch nicht im Dunkel steckt und so ein aktiverer Mitspieler von alles wird, was in kurzer Zeit kommen soll, ist begründet: Tschechow lebt, Tschechow ist auch über uns ... und vielleicht auch in uns! Diese allmähliche Einleitungsöffnung des Spektakels über Mensch und seiner Welt im Spiegel der Umgebung und Zeit macht sich formal problemlos auf, und zwar mittels funktionell verwandeter Szenengestaltung von gastierenden Jan Dušek, in der die Akteure durch Tag und Nacht in überwältigende Darstellung der fernen und noch ferneren Zeiten gehen, die doch zeitlich nicht so entfernt sind ... .
Die alternde Schauspielerin Irina Nikolajevna Arkadina, wie sie von Irena Konvalinová dargestellt wurde, ist diesmal keine usurpatorische Matrone, sie ist weniger herrschsüchtig, eher introvert, selbstkritisch, praktisch. Auf der Brünner Szene weiß sie die Nachstellungen von alles, wodurch sie von Tschechow verkörpert wird, mit Eleganz überwinden: sie überrascht mit ungeahnten Sportleistungen, womit sie eine manchmal weit epische, ein bisschen langweilige Entwicklung von einzelnen Szenen „pfeffert“. Ihre Mucken wirken hier nicht senil, sondern mit dem Sinn für eine gewisse Übertreibung, vielleicht in gewissen Stellen zu viel realistisch (z.B. in der Szene mit Jogging), so dass sie ihre schauspielerische Umgebung (sowie die Zuschauerumgebung) nicht quält.
Es kommt Kosta, junger Mann, ihr Sohn – natürlich, mit junger melodischer Stimme und wirklich nicht vorgespielter Bewegungsspontaneität von „Romeo“. So gelungen wurde er mindestens von Lukáš Hejlík, mit dem Ondřej Veselý alternierte, dargestellt. Sowie Peter Nikolajevic Sorin von Karel Janský. Der Bühnenbruder von Arkadina ergänzt hier dank charakterfester, sogar charismatischer, sensibel durchgearbeiteter Leistung seines Darstellers jene, sich aus einzelnen Menschengeschichten herausbildende Mosaik in Schlussbild. Er will die nicht überragen, die schon im ersten Teil das Gewölbe des ganzen Aufbaues zeichnen.
Die komödienerleichterte Möwe
Kateřina Bartošová 5. Februar 2004 zdroj Lidové noviny
Zdenek Černín studierte im Stadttheater Brno die Möwe von Tschechow ein
Die Einleitungsszene mit den Vorbereitungen der Treplev’s Vorstellung wird bei dem erleuchteten Zuschauerraum gespielt, die Schauspieler treten aus diesem in die Szene, laufen treppauf treppab. Es hat eine gewisse Logik, es handelt sich um Theater im Theater, durch die Anfangsszene wird doch eher die Komödiennote der ganzen Inszenierung charakterisiert.
In den Gestalten werden ihre lächerliche Seiten akzentuiert, was den Raum für zugkräftige schauspielerische Leistungen öffnet. Eine von diesen wird von Irena Konvalinová wie Arkadina angeboten, und zwar in der zeitweise ein bisschen überzogenen aber immer anmutigen Studie einer hysterischen und affektierten Künstlerin.
Trotz der Kürzung gelingt es ziemlich gut, die Aufmerksamkeit auf alle Gestalten zu verteilen, deren Parte sich im Spiel ergänzen.
Die auf einer beachtenswerten illusorischen Szene mit einem flimmernden Seespiegel realisierte Inszenierung von Černín arbeitet mit dem gekürzten Text, der einen dynamischen Verlauf der Handlung ermöglicht, was für die ausgewählte Komödienlage der ersten Hälfte geeignet ist. Auf den Stellen, wo die Tschechow’s Pausen waren, lässt er die Gestalten lärmen und im ganzen Theater herumlaufen und es gelingt ihm, ziemlich lustige Gestalten sowie Situationen zu schaffen.
Cernin inszenierte die Möwe mit Humor und in Abkürzung
Simona Polcarová 28. Januar 2004 zdroj Rovnost
Dem Cernin kann man nicht abstreiten, dass er passende Darsteller für seine Helden zu wählen weiß. Die Gestaltung seiner Vision von Arkadina, eines mit allen Launen verwöhnten Stars, ergriff mit perfekter Präzision und glänzendem Sinn für Übertreibung Irena Konvalinová, als Konstantin Treplev stellt sich der gastierende Ondrej Vesely dar, neuer und gleichzeitig nachdenklicher Typ eines jungen Schauspielers, der tief in das Innere der Figur durchdringen kann (die Rolle alterniert er mit Lukás Hejlík). In einer untypischen Lage erscheint als gequälte und bedrückte Mascha die passend dekadente Jitka Cvancarová (in Alternation mit Helena Dvoráková), gedämpft und nicht gerade expressiv bleibt diesmal Patrik Borecký (die Rolle teilt er mit Martin Havelka) als Trigorin. Die schwierigste Aufgabe stand vor Petra Ptácková in der Rolle von Nina, da sie ein Mädchen spielen sollte, in dem unerwartete Gefühle und Bewunderung zum Schriftsteller erwachen, ohne dass ihre Liebe Chance hat, völlig aufzublühen, und gleichzeitig sollte sie sich auf kleiner Fläche als schlechte Schauspielerin mit ungenügendem Talent präsentieren. Deswegen kann vielleicht ihre Leistung schwankend scheinen, nichtsdestoweniger muss man zugeben, dass sie sich mit der anspruchsvollen Partie mit Ehre zu helfen wusste.
Das Theater geht runter, es sind nur Stöcke geblieben
Jiří P. Kříž 23. Januar 2004 zdroj Právo
Hohes Gefühl für das Kürzen von Tschechow´s Möwe erwies Zdenek Cernin, diesmal mit den Dramaturgen Viktor Kudelka und Blanka Fiserova im Stadttheater Brno, in dem Anfang der zweiten Januar-Hälfte zwei Komödien über Leuten stattfanden, von den jeder jemand anderen liebt, als von dem er geliebt wird.
Die Textarbeit stellt große schöpferische Devise der Reihe von Cernin´s Inszenierungen dar.
Die Möwe auf der Bühne, in deren ein halbes Jahrhundert dauernden Geschichte dieser Titel bisher nicht figurierte, führt in ihrem Wappen auch einen weiteren großen Namen - Josef Topol als Übersetzer. Der konzentrierte sich nicht auf Werkkomplette der dramatischen Größen, er widmete sich nur den seinem Herzen nahen Schauspielen. Vielleicht deswegen gehören seine Möwe oder Romeo und Julia ein bisschen wo anders hin, zu sozusagen Hoheitsübertragungen.
Um die Aufzählung der schöpferischen Geister der Cernin´s Möwe vollständig zu machen, ist noch der Bühnengestalter Jan Dusek zu nennen. Seine Illusion des Wasserspiegels, in dem sich flimmernd der gegenüber liegende Seeufer des Sommersitzes von Irina Arkadina widerspiegelt, ist tadellos.
Sicherlich nicht nur wegen Namensübereinstimmung vertraute Zdenek Cernin die Rolle der schon ein bisschen alternden Schauspielerin Arkadina der sich der Jugend noch nicht ganz entfernenden Irena Konvalinová an. In der Premiere überexponierte sie zwar ein bisschen ihre Leistung, aber über ihre Arkadina wird man reden. Ebenso, wie über ihren unglücklichen, von niemandem verstandenen Sohn, den Versucher neuer Kunstformen Treplev, der Nina Zarecnaja liebt. In der Rolle von Treplev alternieren Ondrej Vesely mit Lukas Hejlik, die nach dem Schriftsteller Trigorin sehnende junge Thalien-Adeptin spielt Pavla Ptácková.
Von der Cernin´s Möwe lösten sich wie durch ein Wunder zwei Gestalten heraus, die ansonsten im Schatten der Hauptpersonen bleiben: Mascha und Trigorin. Bei der ersten Premiere modellierte Jitka Cvancarová das Treplev liebende unglückliche Mädchen ohne Ziel und Lebenssinn, das im hoffnungslosen, erschlagenden Dorfleben dem Alkohol verfällt, als ein bis rätselhaft geheimnisvolles Wesen.
Bei der zweiten Premiere spendete Helena Dvoráková Mascha noch ein Stück Fatalität, wodurch das Erlebnis nicht kleiner wurde. Im kecken Freier, dem Gesellschafter von Arkadina, der aber nur sich selber liebt, alternieren Patrik Borecký und Martin Havelka… Beide akzentieren andere Charakterzüge des oberflächlichen, jedoch erfolgreichen Schriftstellers, der vergeblich ein großes Thema sucht.
Der Brünner Möwe blieb würdevoll
David Kroca 22. Januar 2004 zdroj Wirtschaftszeitung
Der Regisseur Zdenek Cernin verwendete die ausgezeichnete Übersetzung von Josef Topol, in der er gewagt (manchmal fast mitleidslos) Striche machte. Der Schwerpunk der Fabel und der dramatischen Handlung wird in den ersten Teil der Inszenierung verschoben, dessen Rahmen die Darstellung des Treplew´s dekadenten Spiels auf dem Sorin´s Hof und die eilige Abfahrt der Gäste zum Schluss des ursprünglichen dritten Aktes bilden.
Das Geschehen nach der Pause nimmt eigentlich nur das fatale Treffen von Nina Zarecnaja mit Konstantin Treplev ein. Dies ließ der Regisseur vor einer durchsichtigen Dekoration abspielen, hinter der das Lachen der schmausenden Gesellschaft absichtlich stört.
Mit einer interessanten Darlegung beschenkte Cernin die Schlüsselgestalt Nina. Einerseits redet sie über reine Gefühle und Liebe zur Kunst, andererseits entblößt sie mit einer unauffälligen Geste unter der Pelerine herausforderndes Kleid, was andeuten lässt, dass ihre Profession nicht nur Schauspielkunst sein muss. Konstantin´s Tod kommt danach als unerwarteter, jedoch logischer Punkt hinter der Serie von unerwiderten Gefühlen.
Die schauspielerische Dominante der Cernin´s Inszenierung sind paradox nicht die Darsteller von Nina und Konstantin, sonder Arkadina. Die alternde Schauspielerin wurde von Irena Konvalinová als eine Frau gestaltet, die sich in glänzender körperlicher Kondition hält. Und obwohl sie selbst an nicht geringen professionellen Deformationen leidet, beherrscht und terrorisiert sie fest ihre Umgebung. Am meisten büßt dafür der durch die Arbeit aufgesogene Schriftsteller Trigorin, dem Martin Havelka (alternierend mit Patrik Borecký) die Form des bedrückten und ergebenen Liebhabers einprägte.
Obwohl Die Möwe im Stadttheater Brno mit dem traditionellen Untertitel „Komödie in vier Akten“ gespielt wird, die Darbieter der Inszenierung sowie die Schauspieler sind nicht den Weg der unverbindlichen Parodie ggf. der billigen Scherze gegangen. Die Kammerkonversation schleicht allmählich in die Mosaike der lächelnden Episoden ein, bis sie schließlich zu einzigem Ausdrucksmittel wird.
Zdeněk Černín zielt und schießt genau
Scena cz 1. Dezember -1
Mit Tschechow versteht er sich gut
In den Einleitungsdialogen von Mascha und Lehrer Medvedenko, Treplev und Sorin skizziert der Autor die Umgebung – Dorf für die „Herrschaft“ stellt eine Langweile dar. Er entdeckt langsam die Hauptthemen der Vorstellung – Schicksalsverfehlen, wann Liebe und Gefühl nicht von dem Richtigen erwidert werden. Ein wahrer Gefühlsschlag sind die Augenblicke, wann das Idol seinem Gegenüber eigenes Qäulen mit der Liebe zu einem anderen mitteilt. Schrittweise werden alle Gestalten bis zur Schlusskatharsis entdeckt.
Der Bühnengestalter Jan Dusek hob eine gewisse Melancholie auf dem Horizont hervor – See und Gesichtskreis mit Bäumen. Auf diesem wird ebenso die Illusion des Zeitlaufs geschafft. Weiterhin akzentuierte er Holz und Pergolen, die Dorfelemente. An der Genügsamkeit hielt er sich bei den Möbeln. Mit dieser szenischen Lösung half er, den schauspielerischen Ausdruck und damit auch die Geistesvorgänge und Motive der einzelnen Gestalten zu entdecken. Damit stimmten die Kostüme. Ihre Farben korrespondierten mit der Szene und ihr Typ entsprach den einzelnen Gestalten. Auch die Musik formte die Atmosphäre der Vorstellung. Der Komponist David Rotter setzte hauptsächlich auf die Gitarre.
Die schauspielerischen Leistungen kamen insbesondere in den Paaren zum Ausdruck - Konflikte und Katharsis entstehen in Der Möwe gerade in der Kollision von zwei. Eine gewisse Unerfüllung schicken Poline (Miroslava Kolářova) und Dorn (Zdeněk Junák) voraus. In den anderen Rollen nahm die Aufmerksamkeit Pavla Ptáčková wie Nina Zarecnaja ein, auch trotz ihrem offensichtlichen Unwohlsein. In der ersten Hälfte, wann sie eine Unausgereifte und Unerfahrene darstellte, war sie nicht zu viel überzeugend. In geradem Gegensatz dazu stand die zweite Hälfte, wann es ihr gelang, ihrer Gestalt eine unerfüllte, unglückliche Liebe aufzudrücken. Ein sicherer Magnet für die Zuschauer ist Irina Nikolajevna Arkadina, die von Irena Konvalinová gestaltet wird. Sehr ausdrucksvoll war eine andere Frauendarstellerin Jitka Čvančarová. Ihre Mascha wirkte exzentrisch ein. Sie gab ihrer Gestalt trotz ihrer Enttäuschung und Melancholie eine enorme Seeledimension.
Treplev von Ondřej Veselý wusste sich mit der Szene mit Stühlen am Anfang des Spiels mit Bravour zu helfen. Schrittweise riss er die Aufmerksamkeit von Zuschauern an sich, ohne ins Überstiegene einzugeraten. Mit Respekt hielt er die Gestalt eines zerfahrenen und tappenden Mannes. Auch Patrik Bořecký war interessant. Seinen Boris Trigorin stellte er in einer anderen Lage als die anderen, für ihn typischen Rollen dar. Er hielt Balance zwischen Outsider, der sich mit seiner Stellung in der Gesellschaft sowie mit der Vorherrschaft von Arkadina abfindet.
Der Regisseur Zdenek Černín zielt und schießt genau - Treplev wirft vor Nina eine erschossene Möwe („Bald werde ich mich selbst so töten“). Die Möwe gibt er im abschließenden gradierten Finale zurück – die Trophäe steht auf seinem Arbeitstisch. Der Lichtkegel schließt sich über ihm. „Konstantin hat sich erschossen“. Die Zuschauerschaft ist mäuschenstill, sie hat keine Lust zu applaudieren. Es ist nicht einmal Möwelachen zu hören...