Der magischen Flöte in Brno sind alle gewachsen. Autoren sowie Sänger.
Josef Mlejnek 1. Dezember -1 zdroj MF DNES
Das Autorentrio Komponist Petr Kofroň, Bühnenbuchautor Jiří Šimáček und Regisseur Zdeněk Plachý stellte sich voriges Jahr im Nationaltheater mit seiner musikalisch-dramatischer und illusionistischer Vorstellung Phantom oder Blutoper vor. Von meisten unseren Kritikern blieb es missverstanden, trotzendem stellte es nach einem Jahr im Stadttheater Brno ein neues, nicht weniger gelungenes Stück vor – Die magische Flöte.
Die Autoren beabsichtigen doch nicht, im Jahr des 250. Jubiläums der Mozarts Geburt der letzten Oper des Komponisten zu huldigen: viel mehr suchen sie nach dem Sinn der Symbole und nach den Wurzeln der Poetik des Schikaneders Librettos. Es geht nämlich um kein Märchen, sondern um eine freimaurerische Auslegung der Welt, die Schikander sowie Mozart gemeinsam teilten.
Mozarts Variationen
Das Häuschen mit den ins Dunkel leuchtenden Fenstern erinnert ein bisschen an die Werbung auf die Schokolade Orion – bevor wir bemerken, dass oben, im Hintergrund der Szene, die geschnittenen Fichten mit den Baumkronen nach unten finster hängen. Die Nachtskönigin zieht ihre Tochter Pamina zum beinahe aseptischen Gute auf. Unter unaufdringlicher Aufsicht von drei Damen, Personifizierungen der Geduld, Dankbarkeit und Mitleid, widmet sie sich der Stickerei: es quält ihr, dass sie mit der Wahl eines bestimmten Farbtons die bekrümmt, die einen anderen Farbton wählen würden. Die Auftritte des Illusionisten Karel Bušina sind keine Auffrischung sondern Bereicherung der Vorstellung. Es beweißt zum Beispiel das Verschwinden der Prinzessin in die Welt hinter dem Spiegel oder die außerordentlich anspruchsvolle Balancekreation mit dem Kopf der Nachtskönigin auf der Schale.
Die Musik von Kofroň, wenn wir einige Assoziationen von notorisch bekannten Melodien übergehen, paraphrasiert die Vorlage von Mozart nicht und im wesentlichen hängt sie mit ihr nicht zusammen. Ihre Innenkraft zeigt sich vor allem in den fas hymnischen Passagen, die die Schönheit des Hofs von Sarastro entdecken. Nicht weniger überzeugend und stark sind auch die Kammerformen, zum Beispiel Gesang der Nachtskönigin am Anfang. Trotzdem, Die magische Flöte von Plachý ist unpathetisch, der Regisseur arbeitet mit komischen Kontrasten sehr empfindlich. Tamino (Oldřich Smysl) verliebt sich in schönes Bild von Pamina, welches durch eine farbige bis Farbendruckfotographie dargestellt wird. Drei „Genies der Menschheit“, Gestalten der in farbigen, geschlechtslosen Kleidungen verkappten Kinder, zitieren die Allgemeine Deklaration der Menschenrechte.
In der Vorstellung dominieren einige gelungene schauspielerische Leistungen. Jan Mazák in der Rolle des Vogelfängers Papageno weißt, erste Lagen mit denen leichten fast auf die Clownweise zu verbinden. Bei der suggestiven Stimme, Gesang und Gesten von Michal Zavadil als Sprechers des Magiers bedauern wir, dass er sich statt dem Theater seiner ärztlichen Karriere widmet. Ausdrucksvoll ist auch die Nachtskönigin von Ivana Vaňková.
Gute gegen Gute
Ein Teilnachteil der Vorstellung ist der zu große Gegensatz zwischen dem schwelgerisch farbigen ersten Teil und dem mehr philosophischen, manchmal bis schematischen zweiten Teil. In Der magischen Flöte geht es nicht um den Kampf zwischen Gute und Böse, sondern um Zusammenstoß von zwei Guten. Die Autoren stimmen dem radikalen Relativismus nicht zu, sie entwickeln nur den Widerspruch zwischen dem natürlichen Gute und dem „positiven“ Gute: die Schüller in der Sarastros „Schule“ schütten auf Aufforderung genaue Definition von alles aus sich. Die Beziehung zwischen Freiheit und Integrierung ist sicher ein ernstes Problem, aber die Kunst kann es nur vergegenwärtigen. Die Lösung haben wir in Hand.
Regie: 90%
Leistungen der Schauspieler: 90%
Gesamteindruck: 90%
Zwei Herantreten an die Klassik, große Ernte
Jan Špaček 1. Dezember -1 zdroj IDNES
Am vorigen Wochenende hatten die Brünner Bewunderer des Musiktheaters wirklich große Ernte. In der engen Folge fanden die Uraufführungen von zwei originell bearbeiteten, doch klassischen und bisher anscheinend unverletzbaren musikalisch - dramatischen Stoffen statt.
Durch Provokation zum Wesentlichen
Trotz dem Regieneuerertum ist die Havelkas Inszenierung eine Zuschauersicherheit. Die Autoren des „leidenschaftlichen Singspiels“ Die magische Flöte im Stadttheater bewegen sich auf mehr dünnem Eis. Der Nachteil für sie besteht vor allem darin, dass ihr Werk sich zu keiner deutlich profilierten Zuschauermasse wendet. Der Operzuschauer, falls er überhaupt wagt, ins Musicaltheater einzutreten, nimmt die manchmal erheblich vereinfachte Form der Musiknummer nicht an. Der Liebhaber von populären Produktionen dieses Ensembles findet sich mit dem durchdachten spekulativen Verschieben der Grenze des Akzeptablen nur schwierig ab.
Die Vorstellung entstand nach dem ganz neuen Libretto von Jiří Šimáček und in der Regie von Zdeněk Plachý, die Musik ist das Werk von Petr Kofroň. Die künstlerische Gruppe Střežený Parnass, zu der die erwähnten Persönlichkeiten gehören, rief während ihrer zehnjährigen Aktivität eine Reihe von Kontroversen aus. Sie versucht, die Grenzen zwischen der Kunst und Realität zu beseitigen, wodurch sie ihre Produktionen bereichert. Ein wichtiger semantischer Zug ihrer Arbeit ist die Ausnutzung des Kitsches, mit dem sie einige, in ihrer Augen veraltete und ungenügend stilisierte emotionelle Mittel ersetzt.
Die meisten Errungenschaften von Parnass treffen wir nicht zum ersten Mal, trotzdem haben wir hier vielleicht das letzte lebendige Beispiel der ehrlich suchenden kämpferischen Avantgarde vor uns, welche sonst nur auf den Seiten der Lehrbücher lebt. Die typische Obsession von Parnass zu allem Unbekannten und Unerprobten provoziert natürlich, dennoch die Verbindung von neuen Formen mit ultrakonservativem Herantreten können wir nicht wie absichtlich beurteilen.
Die magische Flöte ist vor allem ein Musical. Auch wenn, was die Zeit betrifft, das Schauspiel über der Musik dominiert, ist das ganze Drama statisch, manchmal bis rituell aufgefasst. Im Vordergrund stehen szenische Effekte. Neben den choreographisch gründlich durchgearbeiteten Flächen ist die Wirksamkeit des Ganzen auch durch die Auftritte des Stepptanzes des Ensembles und vor allem des Magikers Bušina erhoben, dank dem die präsentierte Hegemonie der Kraft und Macht ins Übernatürliche expandiert. Das Reich von Sarastro ist im Werk bis zu den kleinsten Details beschrieben, es hat seinen perfekt fungierenden Kult, seine eigene Symbole, Gesetze sowie sein eigenes Schulwesen. Das politische Gebilde auf der Grenze zwischen Utopie und Faschismus ist geeignete Parallele zur Mozarts Freimaurerei.
Die größte Aufmerksamkeit gehört, neben dem Magiker, den Kostümen von Linda Dostálková und der Musik von Kofroň, welche zwischen der zuckrigen Liedern, Minimalismus, Techno und Bigbeat stockig oszilliert. Kompromiss ist für das Inszenierungsteam ein unbekanntes Wort. Kein Wunder, dass die Reaktion der Zuschauer eher ratlos als lau war. Parnass schuf ein riesiges Theatrum Mundi, das die Zuschauer mit ungewöhnlicher Intensität überschwemmt. Die Verweisung von Mozart bewacht Parnass auf eine außerordentlich originelle Weise.
Was Mozart nicht ahnen konnte
Jiří Peňás 1. Dezember -1 zdroj Týden
Die magische Flöte ist die Antwort des Jahres 2006 auf Die Zauberflöte von Mozart aus dem Jahre 1791. Sie ist ihre Verschiebung in die Musik- und Ausdrucksform der Gegenwart, aber nicht im Sinn irgendwelcher realistischen Aktualisierung. Im Gegenteil, Střežený Parnass inkliniert dazu, die Sachen wieder zu verzieren, abstauben, wie mit neuem, zum Beispiel scharfem Neonlicht unerwartet zu beleuchten.
Nicht diesmal macht Parnass Unterschied zwischen Hohem und Niedrigem, er weiß, dass der Zuschauer vor allem hingerissen, gefesselt, schockiert sein muss, was ihm, ich glaube, manches Mal gelingt, wenn auch die Reaktionen des Publikums nicht immer positiv sind. Mindestens bei den Paradenummern des zugezogenen Zauberers, Meisters der Magie Karel Bušina (er trat schon letztes Jahr im National Theater im Phantom der Oper auf). Der Zuschauer wird zum Zeuge von Zerlegen der Schauspielerinnen, von ihren Levitationen, geheimnisvollen Verschwinden aus den von scharfen Bajonetten vollen Schachteln. Meister Bušina führt auf der Bühne auch die „Stirnbalance“ mit Schwert und Schale vor, während deren sich sein Körper in der Höhe um seine Achse dreht – und es fällt ihm nicht! Es ist fast sicher, dass die meisten Zuschauer etwas Ähnliches im Theater nie gesehen haben.
Fantastische, märchenhafte
Erzählungskraft des Mozarts Librettisten Emanuel Schickaneder blieb deshalb mehr als erhalten: es ist noch immer die Rokokogeschichte über einen Raub der wunderschönen Prinzessin Pamina, der sich der Zauberer Sarastro bemächtigt. Der schöne Junge Tamino geht sie retten, wozu ihm die Mutter der Prinzessin, Nachtskönigin, eine Zauberflöte gibt – und auch den anscheinend begriffsstützigen Vogelfänger Papageno, der mit seinen plebejischen Sprüchen dieser Herrlichkeit die Flügel beschneidet. Es ist immer jenes philosophische Spiel, in das der Librettist und Mozart, beide Freimaurer, die Aufklärungssymbolik (in der Zeit der kommenden „Reaktion“) versteckten, welche in Einzelheiten sowie in der ganzen Geschichte umfasst ist. Symbolisch ist es der Kampf des Lichtes, das über der Dunkelheit gewinnt. Sarastro (was der Kryptogramm des mythischen Zarathustra ist) singt am Schluss, wann die List der Nachtskönigin überwunden war: „Ei, es kommt der Tag in Helle / und das Dunkel stürzt / und das Licht löscht jetzt / die List von Lug und Böse!“. Die aufgeklärte Menschheit tritt den Marsch an.
Die magische Flöte des Jahres 2006 bestricht nicht, dass die helle humanistische Idee, die von der Kraft des Fortschritts träumt, der mit seinen Strahlen der Vernunft die Dunkelheit und Rückenständigkeit überwinden wird, edelmütig und wert der Ehrung ist, schon wegen Mozart. Zwei Jahrhunderte nach ihm lehrten doch den Mensch die Skepsis und Zurückhaltung. Das männliche Prinzip der Vernunft und Helligkeit, das so ruhmvoll im Mozarts Finale gewinnt, scheint zwei Jahrhunderte danach, totalitäre Idee zu sein, die alles Unterschiedliches mit Füssen tritt. Das Sarastros Sonnenreich wird in der Metapher der Brünner Inszenierung eine mechanische Maschine für Gleichschalten. Alle Bürger in denselben Uniformen, mit demselben Ausdruck, angetreten, um den feierlichen Hymnus zu singen: „Eine Vision, ein Ziel, fester Willen...“ Eigentlich geht es um futorologisches Hindenken der berühmten, aber dem Menschen schon längst fremd gewordenen Spielerei, die noch Goethe liebte, aber die für den heutigen Kulturmensch nur der Träger der unsterblichen Mozarts Musik ist. Jener gute Wiener Librettist Schikaneder (apropos, einige Jahre war er in Brno tätig) würde sich sicher nicht ärgern.