Evan Hansen wird damit nicht allein sein. Zum amerikanischen Musical auf der Schauspielbühne des Stadttheaters Brünn
Jan Trojan 27. September 2024 zdroj www.brnozurnal.cz
(…) Die Inszenierung ist voll von schöner, wilder und lyrischer Musik, Ton- und Lichteffekten, interessanten Texten, großartigen schauspielerischen und gesanglichen Leistungen. Schließlich spricht der Dramaturg Miroslav Ondra von einem außergewöhnlichen, fantastischen musikalischen Werk.
(…)In der Titelrolle wechseln sich zwei äußerst geschickte Herren ab, Jan Brožek (bei der Premiere am Samstag, dem 21. September) und Marco Salvadori, den ich einen Tag später bei der zweiten Premiere sah. Vor der Premiere sagte Brožek, das Thema sei eine Erinnerung an seine Schulzeit, an die Aufarbeitung des Unrechts in seiner Kindheit. Salvadori vertraute an, dass manche ihn als arrogant und selbstbewusst bezeichnen, aber in dieser Inszenierung hat er die Möglichkeit, sich als Introvertierter zu zeigen. Die Bezüge zu Jan Brozek sind sehr lobenswert, und Salvadori ist in dieser Rolle ebenso beeindruckend. Ihre Figur verlässt die Bühne fast eineinhalb Stunden lang nicht, denn alles dreht sich um sie. Salvadori (und zweifellos sein Stellvertreter) stellt den nervösen, etwas labilen jungen Mann gut dar. Zuweilen ist er verängstigt, unsicher, seine Sprache stottert. Er hat seine eigene Welt. Sein Gegenpart ist der bereits erwähnte selbstbewusste Connor, der schon in der ersten Szene seine Überlegenheit gegenüber Evan zeigt. Der Schauspieler Daniel Rymes differenziert die beiden Positionen richtig. Im unmittelbaren Kontakt mit dem Protagonisten und nach dessen Selbstmord, wenn er als immaterielle Erscheinung in Evans Kopf agiert. Der Höhepunkt der Inszenierung ist die Schauspielerin und hervorragende Sängerin Dagmar Křížová als die bereits erwähnte Zoe Murphy. Sie begleitet Evan mit Worten und schönen Liedern, die sie aus dem Ärmel zu schütteln scheint. Die beiden singen unter anderem das berührende Duett Only Us. Natürlich auf Tschechisch, in einer sehr guten Übersetzung von Zuzana Čtveráčková und Petr Gazdík. (…)
(…) Mošaa und die Schauspieler bewältigen die recht rasanten Szenen mit Leichtigkeit, ein Genuss für den Zuschauer. Der Bühnenbildner Christoph Weyers hat an den Seiten des Bühnenbildes Spinde wie in einem Schulflur und eine Vielzahl von Bildschirmen aufgestellt. Während der gesamten Inszenierung leuchten und flackern sie unter der fantasievollen Lichtregie von David Kachlir. Die Schauspieler und Sänger wurden von Andrea Kučerová in zeitgenössische Kostüme eingekleidet, die wie immer aus ihrer Werkstatt stammen und ebenso dezent wie fantasievoll sind. Die Inszenierung wird durch die Projektion von Dalibor Černák und Petr Hloušek aufgewertet. Wir finden uns an verschiedenen Orten wieder. Nicht jedem Zuschauer dürfte das siebenköpfige Orchester mit dem Dirigenten Daniel Kyzlink an den Tasten aufgefallen sein. Sie sitzen auf der linken Seite der Galerie, ihre Musik wird über große Lautsprecher auf beiden Seiten der Bühne verbreitet.
Trotz aller Widrigkeiten wird Evan am Ende nicht allein gelassen, die Inszenierung endet mit einer großen Versöhnung mit dem eindringlichen Gesang, einige der Zuschauer sind in Tränen aufgelöst.(…)
Damit sind Sie nicht allein.
Lukáš Dubský 27. September 2024 zdroj www.i-divadlo.cz/blogy
Das Musical Dear Evan Hansen ist in der englischsprachigen Welt zu einem Phänomen mit einer großen Fangemeinde geworden. Das Stadttheater Brünn präsentierte es in seiner tschechischen Erstaufführung und kann sich nun mit einem weiteren Titel rühmen, der die gängige Wahrnehmung des Musicals als leichtes Genre durchbricht. Zumindest dramaturgisch ist dies eines der Ereignisse der Saison.
Dear Evan Hansen ist ein Stück, das sich mit dem ernsten Thema der psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen auseinandersetzt, das im Zuge der Covid-Pandemie vielleicht noch aktueller ist als zur Zeit der Entstehung des Stücks. Es zeigt auch die Gefahren der sozialen Medien auf, in denen jeder zum Influencer werden kann, aber auch sehr schnell zur Zielscheibe von Hass werden kann.
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Jan Brožek spielte bei der Premiere die Titelrolle. Man könnte meinen, dass der vierunddreißigjährige Schauspieler ein bisschen alt für die Rolle eines Gymnasiasten ist, aber Brožeks Darstellung zeigt eine jugendliche Energie. Er stattet den unter Angstzuständen leidenden Schüler mit kleinen Ticks aus, die meiste Zeit ist er eigentlich ein normal aussehender Junge, der aber in stressigen Situationen überreagiert. Die Rolle des Evan Hansen ist stimmlich sehr anspruchsvoll, aber Brozek meisterte seinen Part mehr als gut, die einzigen kleinen Unsicherheiten, die ich bemerkte, waren in den hohen Tönen des extrem schwierigen Songs Waving Through the Window.
Dagmar Křížová ist eine souveräne Sängerin, ihre Zoe ist eine Figur, für die man sofort Sympathie empfindet. Die unsympathische Streberin Alana wird von Eliška Hladilová gut dargestellt, die es schafft, ihr eine humorvolle Affektiertheit und innere Unsicherheit zu verleihen, die die Figur menschlich macht. Libor Matouš hat gut mit dem zynischen Glossator Jared gespielt, dessen Selbstvertrauen, so spürt man, vielleicht nur die gleichen Schwierigkeiten in zwischenmenschlichen Beziehungen verdeckt, die Evan plagen. Daniel Rimes hat Connor Murphy nicht als erstklassigen harten Kerl dargestellt, sondern ihn mit einer versteckten, aber spürbaren Traurigkeit ausgestattet.
Connors Eltern sind ein Beispiel für unterschiedliche Techniken, mit der Trauer über den Verlust eines geliebten Menschen umzugehen - während die Mutter (Lucie Bergerová) ihren starken Emotionen freien Lauf lässt, verbirgt der Vater (Lukáš Janota) sie und leidet eher innerlich. Die Mutter von Evan, Heidi, wurde von Alena Antalová sehr ausdrucksstark konzipiert, was in einigen Szenen vielleicht etwas zu weit geht, aber gleichzeitig ist dieser Ansatz für den Entwicklungsbogen der Figur verständlich und betont die schwierige Suche nach einem gemeinsamen Weg zwischen dem verschlossenen Evan und der (oft abwesenden) Mutter, die all ihren Emotionen freien Lauf lässt. Schließlich ist der Konflikt zwischen Eltern und Kindern eine der wichtigsten thematischen Linien des Musicals.
Jede der Figuren hat ihre eigenen Fehler, wobei die Lügen und die Verstellung ihnen helfen, mit ihren eigenen Schwierigkeiten fertig zu werden, was ihr Verhalten menschlich verständlich, wenn nicht gar entschuldbar macht. (…)
Ein erfolgreiches, optimistisch-trauriges Musical über Angst
Luboš Mareček 1. Dezember -1 zdroj www.mestohudby.cz
Ein Musical muss nicht immer nur zuckersüßer Glanz sein, eine kuschelige musikalische Erzählung mit einem zuckersüßen Ende. Das Stadttheater Brünn präsentierte die tschechische Premiere des Broadway-Musicals Dear Evan Hansen. Trotz der komischen Situationen wird das Publikum mit einer fast tragischen High-School-Geschichte verwöhnt, die auf eine intime Musical-Geschichte aufgepfropft ist. Das Ganze eröffnet auf fantasievolle Weise harte Themen wie Angst, Einsamkeit, Depression und sogar Selbstmord. (…)
Ist dies eine optimistische oder eine düstere Geschichte? Das Tolle an diesem Musical ist, dass es eine optimistisch-düstere, aber größtenteils positive Geschichte ist, die sich nicht scheut, auch „schwarze“ Themen anzusprechen. Und die zentrale Botschaft ist einfach: Es ist immer am besten, man selbst zu bleiben und man selbst zu sein. Im Leben gibt es keine ausgeklügelten Schimären, man muss nicht um jeden Preis versuchen, für andere interessant zu sein. Sich zu verstellen und Dinge oder sich selbst zu verändern (nicht nur auf Facebook) kann zu einer Tragödie führen...
Regisseur Stanislav Moša versucht in seiner Inszenierung immer wieder die Balance zwischen der berührenden und der unterhaltsamen Position dieses musikalischen Werkes zu halten. Er tut dies, indem er den traurigen Ton des Textes gelegentlich durch eine humorvolle Charakterisierung oder verbale Abkürzung der (hauptsächlich) dargestellten Teenager durchbricht. Bis zur Pause schreckt die Regie nicht vor der Ergriffenheit auf der Bühne zurück, und in der zweiten Hälfte wird sie immer nachdrücklicher, um den Weg des Protagonisten zur Wahrheit und das optimistische Finale zu betonen.
Die Welt des Gymnasiums und der Informationstechnologie, in der die heutige Jugend manchmal so bedrückend untergeht, wird von Christoph Weyers' Szene perfekt illustriert. Der Bühnenbildner hat die Bühne auf zwei Ebenen mit Reihen von Schulkonservenschränken umstellt, aus deren unteren Ebenen zwei Betten (in den Zimmern der jugendlichen Protagonisten) herausragen. Das einfache Mobiliar besteht aus einem Tisch und einigen Stühlen. Während des dreistündigen Abends wird die schlichte Bühne mehrmals von mehreren Projektionsflächen und Fernsehern durchschnitten, auf denen hektische Diashows mit Worten, Buchstaben und Gesichtern laufen. Dieses rasende, wütende Kaleidoskop von Gesichtern und Geräuschen simuliert die ängstlichen Prozesse in Evans Kopf sowie die Abruptheit des modernen Lebens und die Schnelllebigkeit unserer Gegenwart. Weyers' Bühnenbild ist eine ebenso geniale wie attraktive visuelle Verpackung für das Musical.
Acht Schauspieler und ebenso viele Musiker hinter der Bühne, angeführt von Bandleader Daniel Kyzlink, sind nicht nur durch die beiden Leinwände an den Seiten des Saals miteinander verbunden. Es ist ein leicht melancholischer Klang, der sich durch den ganzen Abend zieht. Die meisten Gesangspartien, vor allem der Protagonistin, sind in hohen Tonlagen gehalten, und manchmal gibt es eine Art gequälten Tonausbruch anstelle von Gesang oder eine Art verkrampftes Nuscheln zur stampfenden Musik. Gesanglich hat die Brünner Inszenierung keine Schwachstellen, ebenso wenig wie die Schauspieler.
Die Hauptrolle ist die einzige Alternativrolle, und ich sah einen wirklich makellosen Marco Salvadori (im Wechsel mit Jan Brozek). Das Verhalten eines jungen Mannes, bei dem Angstzustände diagnostiziert wurden, schauspielerisch und gesanglich darzustellen, ist eine große Leistung. Bei Salvadori ist es nicht nur das nervöse Ringen mit den Jeans, das Schluchzen und die ruckartige Sprache eines Teenagers, der nicht an sich selbst glaubt. In der Tat ist Salvadoris unnachgiebige Imitation einer psychischen Störung sein „Even Hansen“; es ist eine detaillierte, durchdachte Performance, die so unaufdringlich als Fürsprache für diesen (teilweise) Anti-Helden funktioniert. Salvadoris Evan ist zu Recht ein Bühnenmagnet und der Höhepunkt des Abends.
(…) Die Inszenierung von Moshe richtet sich nicht nur an Jugendliche, sondern ist auch ein ausgezeichneter Leckerbissen für Erziehungsberechtigte und Erwachsene aller Art. Die Brünner Neuheit macht sich nichts vor, sie übertreibt nicht mit ernsten Theaterthemen, sondern präsentiert sie mit aufrichtiger und beeindruckender Ausdruckskraft. Die Inszenierung kann also mit Recht im Untertitel der Welt zurufen, dass Brünn „das erfolgreichste Musical unserer Zeit“ präsentiert. In der Tat bestätigt und beweist das Brünner Theaterensemble mit seiner Theaterschöpfung diesen Marketing-Superlativ.