Tollheit nach Offenbach
Josef Herman 5. September 2006 zdroj Theaterzeitung
Die dritte Operettenuraufführung des Brünner Singspieltheaters deutete nach seiner Umsetzung aus dem Nationaltheater ins Stadttheater endlich an, wie die Operette in der Auffassung des Mošas Theaters aussehen könnte. Es wurde zwar nichts Neues erfanden aber es wurde dem Offenbachs Orpheus in der Unterwelt die Revueform in dem bei uns wenig gesehenen Maß gegeben. Die traditionelle Inszenierung der Operette versucht nämlich, dem Werk und seinem Autor oft mit größerer Pieta der Oper treu zu sein, als die traditionalistische Inszenierung. Und wenn die naiven Operettengeschichten mit der Würde von Hamlet gespielt werden, ist das nicht auszuhalten. „Unser Zuschauer“ will es angeblich so haben, ich glaube doch, dass der Zuschauer alles, schwache Stimmen sowie die seit Jahrzehnte bekannten Bühnennaivismen übersteht, um die beliebten Melodien hören zu können.
Auch mit den Schwachen Stimmen vergleicht sich die Inszenierung, wenn auch vielleicht zu geradlinig – es wird einfach auf die Mikroports gesungen. Es bleibt nichts anders übrig, es ist nötig, auch das Orchester auf der Musikszene des Stadttheaters zu beschallen. Ich kann mich doch nicht helfen, der auf diese Weise reproduzierte Klang bekommt der Offenbachs Musik nicht, obschon der Dirigent Jiří Petrdlík ausgezeichnete Arbeit ablieferte. Und wenn die Mikroports den schwachen Stimmen Kraft geben, betonen sie auch eventuelle technische Fehler und Intonations- oder Aussprachefehler. Das gilt auch für Olga Bezačinská in einer von den Hauptrollen Eurydike. Allerdings war sie gegenüber ihren bisherigen Kreationen in der Operette in Ostrava, wo sie das Engagement hat, nicht zu erkennen – kein würdiges Herumstehen, keine anmutige Gesten und schmachtende Lächeln, sondern temperamentvolle, eigensinnige Schöne, welche nicht einmal vom Donnergott Jupiter, geschweige vom schmachtenden Orpheus bewältigt werden kann.
Auch die anderen Operettensänger überschritten den Schatten der traditionellen Operette und mit ihrer Einsetzung sowie Ausdruck passten sie in den Stil des Stadttheaters. Es gibt doch noch immer Unterschied zwischen Igor Ondříček oder Petr Gazdík, welche in Musicals auftreten, und den Operettensängern. Am besten und mit Noblesse bewältigt beide Ebenen Miloslav Čížek, aber das war diesmal nicht das Wesentliche. Die wunderbare Veränderung des Ensembles verursachte Gustav Skála, der mit der witzig aktualisierten Übersetzung des Librettos und auch wie der Regisseur und Choreograph die Operette in eine getanzte Revue übertrug. Hohes Tempo, Übertreibung, Gags, verrückte Einfälle der Crazy Komödie, welche meilenweit von der Starrheit entfernt sind, mit der die Operette vergeblich versucht, künstlerische Würdigkeit zu halten. Übrigens, die Revueform entspricht der vielfarbigen Mischung von Coupletten und Arien, mit denen Offenbach die antike Sage perzipierte und mit denen er sich aus dem in der Oper heiligen Thema sowie aus der gegenwärtigen französischen Situation Ulk machte. Nicht einmal hier konnten politische Anspielungen fehlen, es ist leider viel zu treffen. Die Andeutungen der antiken Kostüme sind mit der aktuellen Mode vermischt, der Lichtpark entspricht den Inszenierungen von Rockopern und die Szene erinnert absichtlich an Fernsehnestraden. Es fehlt nicht einmal die Erotik, doch nicht jene reservierte, wie es in den Operetten gewöhnlich ist. Zum Beispiel Jupiter (Igor Ondříček) in einer grotesken Verkleidung der Fliege weißt Eurydike schnell auf das Sofa hinzulegen, das aus dem Fernsehnprogramm Peříčko kopiert ist, doch mit Übertreibung. Übrigens, in Peříčko ist es auch der Jux, nur ungewollt.
Ich glaube nicht, dass diese die einzige Weise ist, wie die Operette gerettet werden kann. Die Beschallung ist trotzt den unstreitig guten Motiven bei solcher Musik sogar zu diskutabel. Die Menschen auf der Bühne sowie im Zuschauerraum amüsieren sich doch spontan und es ist nicht zu erkennen, wie viel ätzende, schwere Arbeit für dieses effektvolle Theater nötig war. Geschickte Inszenierung.
Orpheus in Brno: Ondříček ist Gott
Jan Šmikmátor 23. Juni 2006 zdroj Rovnost
Die vergangene Woche war voll von den letzten Uraufführungen der Saison. Deshalb finden sie diese Woche auf den Seiten der Zeitung Rovnost schon die dritte Theaterglosse. Diese betrifft das Stadttheater Brno und ihre Inszenierung Orpheus in der Unterwelt.
Der Regisseur Gustav Skála baute auf der Musikszene ein Monument für diese berühmte Operette von Offenbach auf. Die Szene von Eva Brodská ist blendend und bombastisch, manchmal vielleicht zu viel, sie passt doch in die bühnenbildnerische Linie des Theaters. Der Regisseur versprach vor der Samstagsuraufführung, die antike Handlung ab und zu zu aktualisieren und diesem unterordnete er auch die Szene – in seiner Inszenierung führt hinauf zum Olymp eine Seilbahn. Ähnlich bombastisch ist auch die Hölle im zweiten Teil der Inszenierung.
Die Rolle des antiken Chors vergab Skála an die Gestalt Öffentliche Meinung. Es ist die Gestallt, welche Orpheus, der seine irgendwann geliebte Eurydike nicht mehr sehen will, unter der Androhung der öffentlichen Verunglimpfung zwingt, den Weg zum Olymp sowie in die Unterwelt zu machen.
Der pathetische Orpheus in der Unterwelt wird durch die Leistung von Igor Ondříček in der Rolle des Gottherrschers Jupiter in die wirklich olympische Höhe gehoben. Vielleicht niemand kann die aufgekratzten Götter mit den Wörtern: „Na, Kinder...“ besser mahnen. Auch seine Kreation in der Verkleidung der Fliege, in der er die entführte Eurydike verführt, findet beim Publikum stürmische Ovation. Sein ehrwürdiger Gegner war Pluto von Miloslav Čížek, der seiner Gestalt wirklich belebte.
Als Eurydike war Oľga Bezačinská aus dem Nationaltheater Národní divadlo Moravskoslezské ausgezeichnet, neben ihr war Orpheus in der Darbietung von Richard Samek ein bisschen flach. In den Episodenrollen strahlten Robert Jícha (John Styx), Zoltán Korda (Merkur) oder Petr Brychta (Kupido).
Orpheus in der Unterwelt in der Darbietung des Ensembles des Stadttheaters Brno ist eine farbige Inszenierung, voll von Witzen, Anspielungen, guter Musik in der Einstudierung von Jiří Petrdlík, welche alles hat, was dem Operettengenre als Angebinde gegeben wurde. Sie wird Augen, sowie Ohrenweide sein und sie wird die Seele des Zuschauers freuen.
Offenbach, der zu keinem verstaubten Cancan wurde
Luboš Mareček 19. Juni 2006 zdroj MF Dnes
Mit der Uraufführung einer der berühmtesten Operetten der Welt – Orpheus in der Unterwelt von Offenbach – eröffnete das Stadttheater Brno am Wochenende das Festival des Musiktheaters. Die sehenswürdig programmierte Schau mit einem Titel zu eröffnen, dessen Qualität noch nicht beurteilt werden konnte, kann wie der Ausdruck des unendlichen Selbstbewusstseins bezeichnet werden. Der riskante und selbstsichere Zug lohnte sich doch.
Der Regisseur Gustav Skála beschützte seine Inszenierung auf mehrere Weise. Mit Humor übersetzte er das Libretto, er leitete das Ensemble und noch dazu ließ er es in den choreographischen Nummern tanzen. Sei es gleich am Anfang gesagt, dass diese Skálas Dreieinigkeit in jeder Lage einen gewissen Schmiss hat.
Aber hauptsächlich, die Dialogen, das Geschehen auf der Bühne sowie die Tänze sind wirklich gegenwärtig. Sie werden hier keine erlebten und langweiligen Inszenierungsablagerungen der gemäßigt ausgelassenen Operetten finden. Skála blieb dabei der aufgeklärte Inszenator des leichtfüßigen Spaßes. Auf der Bühne führte er sogar die nicht inszenierten Musiknummern wieder auf.
Die Autoren von Orpheus in der Unterwelt vermieden zum Glück starre und traditionelle antikisierende Auffassung, und zwar in der Ausstattung (Eva Brodská) sowie in Kostümen (Lucie Loosová). Gleich nach dem Vorspiel fällt auf die Bühne Eurydike in modernem, pastellfarbigem Kleid ein. Die Kleider des Balletts in schreienden Farben haben den Operettenpomp zum Besten, sowie die unmöglich aufgekämmten Perücken von allen Olympiern. Zu einem wirklichen Erlebnis wurde der berühmte Cancan. Vergessen sie die Strumpfhalter und Falbel der Tänzerinnen. Die Skálas Choreographie steht an eine Diskoschau näher.
Wirkliche Hölle erwartet die Zuschauer nach der Pause in der Unterwelt. Ein leicht perverser, erotisch gestimmter Auftritt von Jupiter und Eurydike auf dem Sofa ist die Probe der Ausgelassenheit der Zuschauer. Zum Glück überschreitet der widernatürliche Nebel (es wird hier Kokain geschnupft, die Hauptheldin im Finale sieht wie Domina aus einem erotischen Salon aus) die Grenze des Geschmacks nicht.
Die Skálas Inszenierung läuft im schnellen Tempo, sie spart mit den gut erdichteten Wort- sowie Situationswitzen nicht und ihre Ausgelassenheit gewinnt schrittweise und restendendlos das Publikum. Die Regieeinfälle werden durch ausgezeichnete komische Leistungen sowie Gesangleistungen von Olga Bezačinská, Miroslav Čížek, Igor Ondříček und Roberta Jícha sowie durch ausgezeichneten Klang des Orchesters erhoben und erhöht.
Moderner Orpheus im Stadttheater Brno
1. Dezember -1 zdroj Kult
Im Rahmen des zweiten Jahrgangs des Internationalen Festivals des Musiktheaters – Weit offen – führte das Stadttheater Brno Offenbachs Orpheus in der Unterwelt auf. Die letzte Uraufführung der Saison studierten mit dem Ensemble Gustav Skála und Jiří Petrdlík ein.
Die moderne, vielfarbige und effektvolle Szene von Eva Brodská und die Kostüme von Lucie Lossová verleihen einer von den berühmtesten Operetten aus der Mitte des 19. Jahrhunderts einen durchaus belebenden und hinreißenden Charakter. Ebenso die Regiekonzeption von Skála lässt auf einer Seite der Inszenierung die Operetteingredienz und auf anderer Seite verschiebt sie heftig in den Regie- und Inszenierungsstil des Stadttheaters der letzten Jahre.
Die neue Inszenierung manipuliert nicht nur mit der Stimmung der klassischen Operette sondern auch mit ihrer Auffassung und mit den Positionen der Gestalten. Zum Beispiel der antike Chor wird durch die Gestalt Öffentliche Meinung (Martina Bauerová) ersetzt und so weiter. Die Musikeinstudierung des Dirigenten Petrdlík hat Schmiss und schafft die entsprechende Atmosphäre der Inszenierung mit, sowie die Szene und Lichtdesign. Die schauspielerische Besetzung, wie es im Stadttheater Brno zu Gewohnheit wurde, hat gewöhnlich zwei Alternierungen, so dass das Niveau sowie Ausklingen jeder Vorstellung von den konkreten Schauspielern abhängt. Orpheus stellt ein wildes, dramatisches, vielfarbiges, tanzendes, witziges und prickelndes Stück dar und das ist nur ein kleiner Teil dessen, wie die neue Juniinszenierung aus dem Repertoire des Stadttheaters Brno bezeichnet werden kann.
Doch noch eine Hoffnung für die Operette in Brno?
Lenka Šaldová 1. Dezember -1 zdroj Hudební rozhledy
Schon das dritte Jahr (seit dem 1. Januar 2004) ist das Brünner "Singspielensemble" unter dem Dach des dortigen Stadttheaters. Bevor es hierher aus dem Nationaltheater Brno überleitet wurde, wurden leidenschaftliche Diskussionen geführt: wird es das Ende der Operette in Brno sein? Die Optimisten hofften: die klassische Operette beginnt, vom Opernensemble aufgeführt zu sein - und seine Operetteninszenierungen werden sicher höhere Qualität haben als die Inszenierungen des bisherigen Singspielensembles. Und ebenso wird sich das Niveau der Operetteninszenierungen in der inspirativen und konkurrierenden Umgebung des Stadttheaters erhöhen.
Im Operettenensemble des Nationaltheaters blieb es bisher bei einem, aus unterschiedlichen Gründen nicht zu viel gelungenen Versuch: die Inszenierung Das Land des Lächelns von Lehár war - trotz der ausgezeichneten Kreation von Yvetta Tannenbergerová in der Rolle von Lisa - das traurigste Beispiel, wie es ausgingt, wenn verschiedene Leute (mit dem Chefdirigenten an der Spitze) zu zeigen versuchen, dass in diesem Ensemble die Operette nicht erwünscht ist.
Aber die Operette gedieh bisher nicht einmal im Stadttheater: in den Inszenierungen Die lustige Witwe sowie Der Fledermaus vertieften sich die vorigen Probleme noch mehr. Die grundsätzliche Erneuerung des Ensembles wurde nicht durchgeführt - auch hier bekamen die Hauptrollen (nur mit wenigen Ausnahmen) die Damen aus dem ursprünglichen Ensembles, ohne dass sie diese Rollen bewältigen, was Gesang und Interpretation betrifft: Jana Botošová in der Rolle von Hana Glawari war das beste Beispiel dessen. Nicht einmal die Wahl der eingeladenen Gäste war im Stadttheater gut - Marcel Kucera (Graf Danilo) war kein guter Sänger schon vor fünfzehn Jahren, wann er in den tschechischen Operhäusern gastierte. Und zum dritten Mal: das Singen ohne Mikroports bekommt den Stimmen von Petr Gazdík (auch wenn er mit dem Part von Eisenstein bewundernswert kämpfte) oder Igor Ondříček (der, im Gegenteil, wusste überhaupt nicht, was mit dem Part von Dr. Falke zu machen) nicht gur. Der deutsche Schauspieler und Regisseur, tschechoslowakischer Landsmann Pavel Fieber schuf vor kurzem im Stadttheater die sehr effektvolle Inszenierung Der Fiedler auf dem Dach, dennoch an seine zwei Operetteninszenierungen fehlte die dazugehörige Übertreibung. Statt den prickelnden Dialogen waren aus der Bühne die gekünstelten Repliken zu hören und die Interpreten blieben vorwiegend bei leeren Chargen.
Die Inszenierung des Orpheus in der Unterwelt von Offenbach ist ein Durchbruch - und zwar vor allem dank Gustav Skála, der das satirische Werk wieder übersetzte, bearbeitete und in Szene setzte. "Die Handlung muss sausen!", fordert er am Anfang das Schicksal auf, damit dieses mehr aktionsfähig ist. Und es folgt ein wirklich temperamentvoller Ehestreit zwischen Eurydike (Oľga Bezačinská) und Orpheus (Richard Samek): bissige Antworten, treffende Einschläge. Eurydike tobt niedlich und dann heult bei dem Konzert von Orpheus - es ist ein dummes Mädchen, das mehr spricht als überlegt und wundert sich unschuldig über alles. Am Anfang in einem zuknöpften rosigern Kostüm und Modehut, wahrscheinlich war sie gerade einkaufen, in der Hölle lässt sich bequem wie ein Raubtier (schwarze Strümpfe, schwarzes Spitzenunterkleid, über dieses geöffnete rote Bluse) auf dem feuerroten Sofa in Form der weiblichen Lippen. Bei ihrem Duett mit Jupiter (Igor Ondříček), wie Fliege umgekleidet, erleben sie auf dem Sofa viel Spaß - und das ist die Gipfelnummer, durchaus witzig und keinesfalls geschmacklos. Dank der Übertreibung, mit der alles in dieser Inszenierung aufgenommen ist: die Himmelsbewohner, denen der Nektar schon zum Halse heraushängt, nach dem man so fett wird. Jupiter, der versucht, ihnen zuzusprechen. "Verdammt, Kinder, fasst ihr euch! Die Mythologie ist ein Trümmerfeld!" Pluto (Miloslav Čížek), der in Verkleidung von Aristeos mit dünner Stimmte singt: "ich sehe meine zauberhafte Lämmer / verrückter Reigen / wie sie sich beim Quellbrunnen treffen / wenn sie durstig sind". Doch sein „Á...ch“ lautet schon schön teuflisch - doch tötet er dabei mit Insektspritzmittel einen Tänzer-Schmetterling, die ihn so zart umflatterten. Witzige Texte, witzige Situationslösungen, ausgezeichnete Gesang- und Schauspielkreationen des männlichen Teils des Ensembles (zu den genannten sind mindestens noch Zoltán Korda und Petr Brychta zu zuordnen) und die Schauspielkreationen des weiblichen Teils des Ensembles, perfektes, was Stil betrifft, und sicheres Spiel des Orchesters unter der Leitung des Dirigenten Jiří Petrdlík - das ist der Grund für den Erfolg der Inszenierung. Aber selbst diese ist nicht ohne Makel, mehr prinzipielle Makel als vielleicht auf den ersten Blick scheint. Die Mikroports stellen keine ideale Beschallung für das Operettensingen dar. Sie glichen zwar die Unterschiede zwischen unterschiedlicher Gesangausbildung der einzelnen Interpreten aus, jedoch unterstrichen sie kompromisslos die Mängel beim Singen (schlechte Artikulation, ungenaue Intonierung, usw.), insbesondere bei Damen, die diesmal unter der Leitung des Regisseurs sehenswürdige Figuren schufen, aber ihre Gesanggrenze konnten sie nicht überschreiten. Wie das Ganze zeigt die Inszenierung doch einen der Wege, wie die Operette heute gespielt werden kann - mindestens so, wie Orpheus in der Unterwelt von Offenbach ist.