Big Fish: ein gelungenes Musical über die Fantasie und über komplizierte Beziehungen
Luboš Mareček 23. Juni 2023 zdroj www.mestohudby.cz
Auf der großen Musikbühne des Stadttheaters Brno erlebte das Broadway-Musical Big Fish gestern seine tschechische Premiere. (…)
Das Musical Big Fish ist im Grunde ein dreistündiges Musiktheater darüber, wie wichtig im menschlichen Leben die Fantasie ist. Das Stück betont die Tatsache, dass wir Magie auch in den gewöhnlichsten Momenten unseres Lebens entdecken können. Was macht es da schon, wenn wir uns dabei der Übertreibung bedienen… Darüber hinaus geht es hier um das wichtige Thema der Entstehung generationenübergreifender Beziehungen zwischen Söhnen und ihren Vätern, darum, wie wir die komplizierte Welt um uns herum wahrnehmen und begreifen. Alles ist in diesem Musical mit einer großzügigen Prise Absurdität gewürzt. Big Fish ist wirklich ein recht kompliziert konstruiertes Bühnenwerk mit nicht weniger als achtzehn Bildern und nahezu zweihundert Figuren. (…) Die vielgestaltige Bühnenhandlung wird auch musikalisch gegliedert, Lippas Musik ist reich an Kontrasten und nutzt Anklänge an die amerikanische Musik aus dem damaligen Alabama. So sind denn auch Variationen auf den Fiddle Style zu hören, die traditionelle Volksmusik jener Region Amerikas mit allem, was dazugehört. Der erfahrenere Zuhörer kann so etwa ein Waschbrett heraushören oder eine Dobro, die zwar vor allem in der Country-Musik oder im Bluegrass Verwendung findet, aber auch im Blues, in dessen Nähe auch einige der neunzehn Musiknummern angesiedelt sind. Selbstverständlich sind auch Banjo oder Mandoline zu hören. Allerdings handelt es sich hier nicht nur um Songs, sondern auch um ein breites Feld an rein szenischer Musik, die hier unter der Leitung von Ema Mikešková sehr dynamisch und fehlerfrei live gespielt wird. (…) Zusammen mit dem Szenografen Christoph Weyers und den Kostümbildnerinnen Andrea und Adéla Kučerová inszeniert Moša im Einklang mit dem Thema der Vorlage kein vorgeblich realistisches Theater, sondern versucht auch mit Marionetten und einer fantastischen Dekoration zu spielen – seien es drei tanzende Elefanten, eine vier Meter lange Kanone oder die projizierten Clips aus der Wasserwelt. Ein Schmankerl, das beim Publikum besonders ankommt, ist der überdimensionale Schreibtisch des Riesen Karl mit einer leibhaftigen und ebenso riesigen Sekretärin, die ihre mächtigen Beine baumeln lässt, oder etwa das zum Leben erwachte Lagerfeuer in Gestalt einer bezaubernden Tänzerin. Die abstrakten oder angedeuteten Kulissen der Kleinstadt in Alabama wurden hier unter Verwendung weißer Holzlatten angefertigt. Die Kostüme erinnern in ihrer Farbigkeit logischerweise an einen Zirkus, und es kommt auch Glitter zum Einsatz.
Die gesanglich perfekten Protagonisten stehen verdientermaßen im Zentrum der Aufmerksamkeit. Doch brillieren sie nicht nur durch ihren bravourösen Gesang – Lukáš Janota und Radka Coufalová schaffen es in den zentralen Hauptrollen der Eheleute Edward und Sandra vielmehr auch glaubwürdig, durch die Zeit zu reisen. Beiden gelingt es, dem Publikum die Jugendlichkeit oder das Alter ihrer Helden zu suggerieren. Anerkennung verdienen auch die vielfach blitzartigen Kostümwechsel, mit denen die beiden virtuos zwischen den Generationen hin- und herwechseln. Sie sind die ideale Besetzung und verleihen dem Musical ihre kernige Reife, beherrschen aber ebenso das Grimassieren der Teenager oder die leidende Schwere des Alters. Ähnliches lässt sich über Daniel Rymeš sagen, der Blooms Sohn Will spielt. Wunderbare magische Figuren sind der ungehobelte Karl, dargestellt durch den in sein Mikrofon brummenden Dušan Vitázek, und der Zirkusdirektor Amos, mit ausgezeichnetem Gespür für groteske Verkürzungen gespielt von Jiří Ressler.
Die tschechische Premiere des mystischen Musicals Big Fish ist gerade durch die gekonnte Grätsche zwischen seinen beiden angedeuteten Ebenen gelungen. Die Bühnenbearbeitung und die Regie bringen wunderbar herüber, wie berauschend, anstrengend, aber auch erfüllend für andere die Wahrnehmung der Welt eines Einzelnen sein kann, der um seine Personen einen Mythos konstruiert und in dessen „Wahrheiten“ man nur zu leicht die Orientierung verliert.
Ein weiteres großes Familienmusical auf der Bühne des Stadttheaters Brno
Iva Bryndová 26. April 2023 zdroj www.i-divadlo.cz
(…) Das Stadttheater Brno hat ein weiteres großes Musial für die ganze Familie auf die Bühne gebracht. Unter der Regie von Stanislav Moša erwachen hier ein Riese, eine Hexe, eine Meerjungfrau oder ein Werwolf zum Leben, und das in eine Kleinstadt im amerikanischen Alabama, wo die anderen ihr ganz normales Leben führen. Edward genügt dieses normale Leben nicht, er hat beschlossen, ein Held zu sein, und seinem Sohn daher ab dessen früher Kindheit, in der er als Handelsreisender oft fort war, seine unglaublichen Abenteuergeschichten erzählt.
Das einfallsreiche Bühnenbild von Christoph Weyers lässt mit einfachen Andeutungen, vielfach nur mit Lattenwänden, vor den Augen des Publikums Edwards Wohnhaus in Alabama, seine Heimatstadt und deren wichtigste Bauten oder eine Zirkusmanege entstehen, die sich darauf gleich wieder unter markanten Lichteffekten (für die Lichtregie zeichnet David Kachlíř verantwortlich) und den Projektionen von Petr Hloušek in eine Höhle oder einen Wald verwandeln. Die Kostüme von Andrea und Adéla Kučerová untermalen getreu jede Situation.
Die Tanzkompanie tanzt und singt in den Choreografien von Michal Matěj im Stil klassischer großer Musicals, und die Protagonisten der Hauptrollen können mit allseitig überzeugenden Leistungen aufwarten – zumindest was die Premierenbesetzung angeht. Die Stars des Abends waren eindeutig Lukáš Janota in der Rolle des Edward Bloom und Radka Coufalová als seine Ehefrau Sandra.
Lukáš Janota verkörperte auf der Bühne ohne das geringste Zögern die Figur des ewigen Träumers, des Helden, des Abenteurers, der vielleicht zu manchen seiner Geschichten etwas hinzudichtet, aber nie aufhört, sie und sein Leben in vollen Zügen zu genießen. Er kommt mit der Figur des Heranwachsenden und des jungen Erwachsenen ebenso zurecht wie mit der des jungen Vaters, der seinem Sohn mit Begeisterung alle seine Geschichten erzählt, oder auch des alten Mannes, der seinen erwachsenen Sohn nicht mehr versteht, an einer schweren Krankheit dahinsiecht und es dennoch nicht schafft, eine gemeinsame Sprache mit ihm zu finden.
Eine zeitlich ebenso heterogene Figur verkörpert auch Radka Coufalová. Im chronologischen Ablauf der Erzählung erscheint sie auf der Bühne zunächst als Studentin, dann in der Rolle der größten Schönheit, die in allen Erzählungen Edwards ihren Auftritt hat, und schließlich als liebende Mutter eines kleinen Jungen und später eines erwachsenen Sohnes, der heiratet und seinen Vater nicht mehr versteht.
Beide, Janota wie Coufalová, zeigten sich auch gesanglich von ihrer besten Seite. Radka Coufalovás Solo „Ohne Haus oder mit“ in der zweiten Hälfte der Vorstellung gehörte zu den ergreifendsten Momenten des Abends. In ebenso ausgezeichneter Form präsentierte sich Daniel Rymeš in der Rolle ihres Sohnes William, dem das Musical ebenso wie den Darstellern der Eheleute Edward und Sandra nicht nur schauspielerisch, sondern auch gesanglich breiten Raum bot.
Eher schauspielerisch ist die Rolle von Williams Verlobter und späterer Ehefrau Josephine, in der Eliška Skálová mit einer souveränen Leistung überzeugen konnte. (…)
Das Stadttheater Brno hat damit ein weiteres Mal ein hochwertiges großes Musical auf die Bühne gebracht, das neben seiner markanten künstlerischen Ausgestaltung mit einer reichen Choreografie, vielen klassischen großen Musicalnummern und herausragenden Leistungen sowohl der ausgeglichenen Tanzkompanie als auch der Darsteller in den Haupt- und Nebenrollen aufwarten kann. (…)