Einer muss raus
Jana Bohutínská 12. November 2002 zdroj Theaterzeitung
...Und da die Brünner Inszenierung im guten Sinne des Wortes traditionell ist, d.h., dass sie sich auf den Text und auf gute Schauspieler verlässt, gilt die zweite Möglichkeit. Weshalb sollte der Zuschauer an Nicholson erinnert werden, wenn ihm „unser“ Havelka von der persönlichen Note und von der Wirkung der Gestalt her mindestens ebenbürtig ist, jedoch ohne ihn in irgendeiner Weise nachzuahmen. Er spielt den McMurphy, ohne sich grundlos zur Schau zu stellen, als zivilen, freiheitsliebenden Bürger, der unter die Räder eines repressiven Systems gerät.
Das Vorhandensein allseits bekannter Filme kann für das Theater gefährlich, aber auch sehr nützlich sein. Wer würde ohne Forman Einer flog über das Kuckucksnest kennen? Vielleicht einige Feinschmecker und Kenner der amerikanischen Literatur. So ist es garantiert zumindest ein Kassenschlager, und in Brünn mit Recht.
Havelka exzelliert wieder in einer grossen Rolle
Jiří P. Kříž 7. November 2002 zdroj Právo
Der Regisseur Zdeněk Černín sah sich mit dem Problem konfrontiert, wie heutzutage der durch die Dramatisierung von Dale Wassermann und vor allem durch den gleichnamigen Film von Forman bekannte Roman von Ken Kesey „Einer flog über das Kuckucksnest“ zu inszenieren ist.
Es geht nicht mehr so gut, im Stück die Gewalt und Repression in den Vordergrund zu stellen, weshalb die therapeutischen Sitzungen in der Anstalt zum Auslegungsschlüssel geworden sind. In diesen ist es nach dem Vorbild der heutigen Medienkampagnen jederzeit möglich, jeden bloßzustellen bzw. auch zu ruinieren...
Zufälligerweise verfügt das Stadttheater über einen optimalen Darsteller des Rebellen Randle McMurphy. Martin Havelka wirkt beinahe eins mit der Zentralgestalt des Stücks. Randle ist ein ewiger Pechvogel, der sich auf Messers Schneide zwischen Straße und Gefängnis bewegt, dauernd durch den Rost fällt und ein Leben in vollen Zügen genießt, ein unverwüstlicher Optimist aber auch Kämpfer. Der Darsteller stattete ihn mit der Fähigkeit zu hinterfragen und mit einem Gerechtigkeitssinn aus. Solche Eigenschaften müssen ihm jedoch zum Verhängnis werden.
Havelkas Leistung ist souverän, er wirkt überzeugend, und umfasst die Bandbreite vom erstaunten Sammeln der Kräfte gegen eine überraschend hartnäckige Repression bis zum Ausbruch der Gefühle der Auflehnung gegen die tötende Ungerechtigkeit.
Chief Bromden von Zdeněk Junák ist ein genaues Spiegelbild einer geknechteten indianischen Würde und des ungebrochenen Willens, die verlorene Freiheit wiederzuerlangen.
Ihnen tritt die „große“ Oberschwester entgegen. In der Darbietung von Irena Konvalinová ist sie im Einklang mit Formans Auffassung (Louise Fletcher) eigentlich ein zartes und freundliches Geschöpf, in dem erst der unbändige Randle den Damm des Hasses und des rasenden Mutwillens gegenüber den Anstaltspfleglingen bricht. Hand in Hand, jedoch in primitiveren Zügen einer rohen Gewalt gegen die Wehrlosigkeit geht der Pfleger Washington von Petr Štěpán gegen Insassen vor.
Das Leben draußen wird von den zu allem fähigen Töchtern Randles Candy Starr und Sandra repräsentiert. Pavla Ptáčková und Zuzana Kyseľová haben jedoch diese Rollen im Gegensatz zur Logik der Geschichte als weniger ernstzunehmende, farbenfrohe Karikaturen aufgefasst. Unter den Randles Leidensgenossen beste Nebenrollen wurden von Igor Ondříček (Taber), Viktor Skála (Dale Harding), Erik Pardus (Charles Cheswick) usw. verkörpert.
Aus diesjähriger Sicht des Stadttheaters gesellte sich Einer flog über das Kuckucksnest zu der im Frühjahr besonders exponierten Tragödie von O’Neill Trauer muss Elektra tragen von der Regisseurin Jana Kališová. Ein Rückgang des Interesses für Eintrittskarten ist in Brünn sicher nicht zu befürchten.
Erfolgreiches „Einer flog über das Kuckucksnest“
vž 2. November 2002 zdroj Haló noviny
Wassermans Bühnendramatisierung von Einer flog über das Kuckucksnest führte zur zweiten der diesjährigen fünf Premieren des Stadttheaters in dessen achtundfünfzigster Saison. Unter der Regie und in der Bearbeitung von Zdeněk Černín wurden von den Akteuren der Geschichte aus der psychiatrischen Klinik sehr gute Leistungen vorgeführt. Dies trifft sowohl auf Martin Havelka in der Titelrolle des Randle, als auch auf Zdeněk Junák als Chief Bromden, bzw. auf Irena Konvalinová als energische Oberschwester der Anstalt zu. Das Stück über die Sehnsucht, in der Gesellschaft die eigene Freiheit, Persönlichkeitsstärke und den eigenen Verstand zur Geltung zu bringen, gelangte im Brünner Theater überhaupt erstmals zur Aufführung. Der Autor des Romans Einer flog über das Kuckucksnest Ken Kesey stellte darin die Beziehungen zwischen der Beatgeneration und der Hippies dar. Die neue Premiere setzte einen weiteren Mosaikstein in das Bild des gegenwärtigen Schaffens einer der besten Bühnenteams Brünns. Für dieses Team entsteht neben dem bisherigen Gebäude des Stadttheaters Brno eine neue große moderne Schauspielbühne.
Ins Netz setzten sich hervorragende Narren
Simona Polcarová 23. Oktober 2002 zdroj Rovnost
Das Stadttheater Brno beschloss, an diesem Wochenende als zweite Premiere der Saison einen atemberaubenden Titel aufzuführen. Einer flog über das Kuckucksnest bekam seinerzeit den Beigeschmack verbotener Früchte und es wird sich kaum jemand finden, der seine Filmversion in der oscargekrönten Regie des Milos Forman nicht kennen würde. Umso interessanter war es, zu sehen, wie der Regisseur Zdeněk Černín mit dem Drama nun auf der Bühne fertig werden würde…
… Das Ausspielen der Szenen aus dem Leben der Patienten der Anstalt (Kuckucksnest bedeutet in der englischen Umgangssprache Irrenhaus) gelingt Černín mehr als meisterhaft. Auf der kleinen Fläche gelingt es ihm, die einzelnen Gestalten in kurzen und präzisen Skizzen einschließlich ihrer Schwächen und Ticks zu charakterisieren, wobei er vom Anfang bis zum Schluss jeden der Klienten in allen Situationen darstellt, sodass es in der bunten Palette keine Schwachstelle gibt, wo irgendeine der Figuren stagnieren oder fehlen würde..
…Neben dem zentralen Martin Havelka als Rebellen McMurphy sind Viktor Skála in der Rolle des Harding, bei dem sich große Intelligenz mit der totalen Unfähigkeit, die Realität wahrzunehmen, paart, Igor Ondříček als ständig überdrüssiger und auf die ganze Welt saurer Taber, Erik Pardus in der Rolle des Möchtegern-Anständigen Cheswick sowie Michal Nevěčný in der sympathischen Rolle eines ewigen sexuellen Lüstlings nicht zu übersehen. Nicht zuletzt figuriert in dieser Reihe perfekt dargestellter Gestalten Patrik Bořecký, für den der Part des eingeschüchterten Jugendlichen Billy Bibbit zu einer perfekt genutzten Gelegenheit wurde, den dramatischen Bogen darzustellen, den Bibbit durchmacht...
Einer Flog űber das Nest
Josef Meszáros 21. Oktober 2002 zdroj Scena cz
Es wird doch niemand raus müssen...
Černíns anderer Blickwinkel
Die Freiheit und das Freisein des Individuums von den Zwängen eines Systems sowie der Missbrauch der Macht gegenüber Wehrlosen stellen die Hauptthemen in dem von Miloš Forman verfilmten Roman des amerikanischen Schriftstellers Ken Kesey Einer flog über das Kuckucksnest dar. Dieser Roman wurde zur Vorlage des Theaterszenariums von Dale Wasserman. Nach dem Theater Na Fidlovačce gelangte das Stück zu einer weiteren Aufführung auf tschechischen Bühnen, diesmal im Stadttheater Brno. Unter der Regie von Zdeněk Černín stellte sich bei der Samstagspremiere am 19. Oktober 2002 Martin Havelka als Randle Patrick McMurphy dem Publikum vor, seine Gegnerin, die Oberschwester Ratched wurde von Irena Konvalinová gespielt, die Rollen der Patienten waren von Patrik Bořecký als Billy Bibbit, Viktor Skála als Dale Harding und weiteren besetzt.
Der Kontrast zwischen Ordnung und Freiheit wurde vom Autor der Ausstattung Jan Dušek gut herausgeholt, der am Rand der Bühne eiserne Käfige als Symbol der Beschränkung aufstellen ließ, während die Bühnenmitte frei blieb. Der Regisseur Zdeněk Černín bewältigte mit Bravour das Arrangement der Chorszenen, die zu den gespanntesten zählen. Bei der Auslegung sind ihm jedoch geringfügige „Fehler“ unterlaufen. Die Anführungszeichen sind in dem anderen Blickwinkel, eventuell in der anderen Erklärung der Bedeutung zu sehen. Černín baut das gesamte Stück auf der Konfrontation zwischen McMurphy und Ratched auf, während er die Hauptrolle des Chief Bromden, die im Original als Erzähler auftritt, völlig in den Hintergrund stellt. Die Inszenierung wurde von ihm als schroffer Konflikt zwischen dem System und der Freiheit ausgetragen. Gerade diese Freiheit, die in der eigenen Erzählung Bromden bedeutete, wurde auf McMurphy übertragen. Dieser bekennt sich im Unterschied zum Chief eher zur Anarchie als zur Freiheitsordnung.
Dieser Blickwinkel ermöglichte Černín, das Publikum in größere Spannung zu versetzen. Im Katz-und-Maus-Spiel war er rücksichtsvoll, indem er auf alle drastische Auftritte verzichtete, und diese nur der Wortbeschreibung überließ. Dass das Publikum dadurch auf die Folter gespannt wird, macht sich vor allem in der Schlussszene bezahlt, als der Chief durch eine Operation den geistig verunstalteten McMurphy „befreit“ und als nach der Ausführung der Euthanasie McMurphys Seele unter Begleitung einer weichen, gefühlsbetonten Musik durch das Öffnen der Türen der Anstalt die Bühne verlässt. Die Musik entstand in der Autorenwerkstatt von David Rotter und gleicht die Hintansetzung des Chiefs aus, indem sie meistens die Rhythmen indianischer Trommeln benutzt. An dieser Stelle könnte man in einen philosophischen Widerspruch zur Interpretation der Freiheit und des Systems geraten. Das regelmäßige Pochen der Trommeln symbolisiert zwar ein System und eine Ordnung, es muss jedoch betont werden, dass es sich um eine Ordnung handelt, die von der Harmonie des Menschen mit der Natur ausgeht, während das von der Oberschwester Ratched dargestellte System seinen Ursprung in einer außer jeder Kontrolle geratenen Maschinerie hat, die alles teils kopflos, teils systematisch zerrädert. Rotter komponierte eine interessante Musik, abgesehen von dem erwähnten Rhythmus ist es ihm gelungen, sehr gut das Bild der Party zu vermitteln, in dem er Hardrock verwendet und dadurch die Auflehnung betont.
Von den Schauspielleistungen her fielen am meisten Martin Havelka und Irena Konvalinová auf. Der von Martin Havelka dargestellte Randle Patrick McMurphy gehört zweifelsohne zu jenen, die das genaue Gegenteil von dem tun, was die Regeln vorschreiben. Er schafft es, gehörig extrovertiert und kommunikativ zu sein.
Besonders gut bewältigt wurde von ihm die Szene mit der Abstimmung über die Möglichkeit, sich ein Sportmatch anzusehen. Diese Szene passte in ihrem Schluss auch Irena Konvalinová. Sie ließ sich von McMurphy provozieren, obwohl sie in der Selbstbeherrschung trainiert ist. Die Einhaltung der Ordnung wurde von ihr perfekt verkörpert, es fehlte ihr jedoch die Raffiniertheit. Sie bemühte sich zwar darum durch den teils erstarrten, teils finsteren Gesichtsausdruck, war aber als echte Oberschwester Ratched nicht überzeugend.
Von den zahlreichen Patienten und Chronikern haben Dale Harding (Viktor Skála) und Billy Bibbit (Patrik Bořecký) die meisten Entfaltungsmöglichkeiten. Viktor Skála schafft makellos den intellektuellen Ausdruck, die ihm unterstellte verborgene Homosexualität erscheint als zweitrangig. Gekonnt konterten er und sein Rivale Taber (Igor Ondříček) einander. Dieser nutzte für seine Gestalt die Maske einer gereizten Bulldogge. (Wie gut, dass er am kalten Büffet nicht mehr so finster dreinschaute – Anmerkung der Redaktion.) Zu den beachtenswertesten Leistungen in den Nebenrollen zählt die Darstellung des stotternden Billy Bibbit von Patrik Bořecký. Bořecký spielte nicht nur blendend einen Mann, der sich über den Verlust seiner Unschuld freut, sondern wusste sich auch mit dem Übergang zum Anfall zu helfen, als die Oberschwester ihn beinahe umgebracht hat, indem sie ihn kompromisslos mit der Drohung unter Druck setzte, alles seiner Mutter zu sagen. (In diesem Bild scheint die Logik abhanden gekommen zu sein – im Original durchschneidet sich Billy die Adern vor dem Liebesakt, in unserem Fall hebt der Regisseur das Ungeheuer Ratched hervor, weshalb sich Billy die Adern in der Einzelzelle durchschneidet, wobei es jedoch nicht einsichtlich ist, wie er dort zu einem Messer kommt?)
Fest steht, dass Einer flog über das Kuckucksnest in der Einstudierung des Stadttheaters Brno ohne jeden Zweifel zu den erfolgreichen Inszenierungen gehören wird, nicht nur dank der attraktiven Vorlage, sondern auch des Handlungsortes. System oder Freizügigkeit? Freiheit oder Ordnung? Es sollte ein Gleichgewicht herrschen wie beim Zusammenleben zwischen Mann und Frau. Es wird doch niemand raus müssen...