König Ödipus

König Ödipus

  • Genre Singspiel
  • Bühne Schauspielbühne
  • Premiere30. Oktober 2010
  • Vorstellungsdauer1:30 hod.
  • Anzahl der Wiederaufführungen29
  • Derniére3. Juni 2013

antike Tragödie über Selbsterkenntnis

Dieses geniale Werk aus der Zeit vor dritthalb tausend Jahren wird für die vollkommenste antike Tragödie gehalten und gehört zu den Gipfeln des Weltdramas aller Zeiten: vollblütig leidenschaftliche und wahrlich zeitlose Geschichte über Schuld und Sühne, über Selbsterkenntnis und Verantwortlichkeit, die außergewöhnliche schauspielerische Gelegenheiten anbietet. Der Herrscher von Theben Ödipus sucht nach der Ursache, wegen der Theben durch die Pest gequält sind; nach dem Orakel von Delphi handelt es sich um eine Strafe der Götter wegen dem unbestraften Mord des vorigen Herrschers Laios. Ödipus, entschieden die Wahrheit zu entdecken und die Rache zu üben, entdeckt die grausame Vergangenheit und dabei – mit Augen auf und nach Entdeckung der Wahrheit – wird er selbst blind. Die Geschichte von Ödipus ist die Geschichte über die Kraft des Schicksals, das gerade durch die Taten, mit denen die Leute versuchen es zu vermeiden, in Erfüllung geht. Die Geschichte des Einzelnen, der für das Verbrechen gegen die Ordnung zahlt, auch wenn er dieses Verbrechen nicht nur unwissentlich sondern auch gegen rationellen Willen von sich selbst sowie von allen anderen Mitwirkenden beging. König Ödipus ist nicht nur eine dramatische Analyse des individuellen Gewissens, er enthält auch eine erstaunliche soziale Dimension. Obwohl das zentrale und primäre Verbrechen unwillkürlich begangen wurde, wurde es zu realer Störung des Gleichgewichts der Weltordnung. Und es ist eine pressante Pflicht von Ödipus als des Herrschers, dieses Gleichgewicht wieder zu erneuern, und zwar auch um den Preis der Selbstzerstörung. Sophokles schuf ein ewiges, zwingend resonierendes Drama über die Dialetik des Menschenlebens und des Universums, das gegenüber dem Einzelnen sehr grausam sein kann, doch nie zu Herrschaft des Zufalls und der Willkür werden kann.

Autor

  • Sofokles

Regieassistent

Übersetzung

  • Jan Skácel

Dramaturg

Bühne

Musik

Musikeinstudierung

Oidipus, thébský král

Iokasta, královna, chór

Kreon, chór

Teiresias, věštec, chór

Stařec, chór

Korinťan, chór

Oidipův sluha, chór

Pastýř, chór

Ženský chór

Děti

Sophokles: König Ödipus

David Kroča 20. November 2010 zdroj Český rozhlas 3 - Vltava

Die tragische Geschichte des Königs Ödipus, der seinen Vater unbewusst umbrachte und seine eigene Mutter heiratete, beginnt im Stadttheater Brno nicht auf der Bühne, sondern im Zuschauerraum. Dieser wird am Anfang von einem vielköpfigen Chor umringt, so dass die Zuschauer die ersten Verse in der kontinuierlich fließenden Übersetzung von Skácel gleich aus beiden Seiten und aus unmittelbarer Nähe hören können. Auch dann, wann sich der Chor auf die Bühne verlagert, bleibt seine Polyphonie hörbar: er kommentiert nicht nur die Taten der Protagonisten, er teilt auch die Meinung des Autors sowie des Volks scharf mit.
 
In der Bearbeitung des Regisseurs Stanislava Moša wird die Handlung Sophokles Dramas in eine achtzig Minuten lange Inszenierung konzentriert, die für Zuschauer übersichtlich und kontrollierbar ist. Der Chorgesang und die Rezitationen übergeben das Steuer der Stimme der Protagonisten, insbesondere an Ödipus, der mit allen Mitteln versucht, die schreckliche Prophezeiung abzuwenden. Mit Starrköpfigkeit eines arbeitsamen Detektivs beruft er wieder und wieder neue Zeugen um den Täter zu ermitteln um schließlich erschreckt festzustellen, dass er selbst es ist. Die hartnäckige Suche der Titelgestalt wird während der ganzen Zeit vom anwesenden Chor beobachtet, dessen Mitglieder sich auf der weißen Stufenszene von Jan Dušek befinden. Ihre Anonymität wird auch durch einheitliche weiße Kleider unterstrichen, in die die Akteure von der Kostümbildnerin Andrea Kučerová angezogen wurden. Dass das Kleid von Ödipus am Ende durch Blutfarbe bespritzt wird, das konnte man erwarten. Weniger erwartet, auch aus der bildnerischen Sicht, ist die zugeschriebene Gestalt des Fauns, der hier die Aufgabe eines poetischen Begleiters erfüllt. In Brno hat dieses mythologische Wesen eine effektvolle halbtierische Form, in der sich die Mädchenanmut und animalische Elemente, z.B. Bocksfüße oder Bockshorne, treffen.
Jiří Mach in der Titelgestalt ist in jenen Momenten mehr überzeugend, wann er das tragische Schicksal seiner Gestalt durch physische Aktivität unterstreichen kann; die Bedeutung von allen Schlüsselversen nur mit gesprochenen Wörtern zu füllen, das geht wahrscheinlich noch über seine Kräfte hinaus. Iokasta in der Darbietung von Ivana Vaňková zeigt sich mehr plastisch zu sein, insbesondere deswegen, dass ihre Darstellerin die Emotionen planmäßig steigert und mit dem Vers sorgfältig arbeitet. Schauspielerisch zuverlässig ist Viktor Skála als ihr Bruder Kreon: er stellt einen starken und entschiedenen Mann dar, der auch daraus zu schöpfen weiß, dass er sein Gefühle bemeistert.
Die Einstudierung dieser Tragödie von Sophokles in Brno sucht keine eindeutigen Antworten an Fragen; sie ist eher an viele unterschiedliche Interpretationen geöffnet, mit denen sie gewaltlos arbeitet. Wirkungsvoll ist insbesondere das Motiv des trügerischen menschlichen Glücks, welches mit Ironie dargestellt wird. Während der glückliche und starke Ödipus am Anfang mit den Kindern Blindekuh spielt, hat er am Ende der Inszenierung wieder einen Tuch über seine Augen und hält seine Kinder an der Hand – diesmal doch dringlichkeitshalber, weil er ein wirklicher, der Schande ausgesetzter Blinde ist.

Antike Tragödie König Ödipus auf der Bühne des Stadttheaters Brno

Karla Hofmannová 18. November 2010 zdroj www.zivotnistyl.cz

Der griechische Dramatiker Sophokles gehört nicht zu den gegenwärtigen Autoren. Man könnte doch behaupten, dass er zu den modernen Autoren gehört. Vor allem wenn sein Drama in den Versen des exzellenten Dichters Jan Skácel aufgeführt wird. Es spricht mit verständlicher Sprache über gegenwärtige Probleme des Menschen. Über Suche der Wahrheit und Verantwortlichkeit gegenüber sich selbst sowie seinen Nächsten.
 
Der Regisseur Stanislav Moša bereitete eine einfache Show ohne Effekte und Pathos, ohne Starmanieren und einschmeichelnde Melodien vor. Trotzdem, oder gerade deswegen, fesselt sie die Inszenierung in Sitzen und zwingt sie, den Versstrom beinahe ohne Atem zu beobachten. Er bringt auf die Szene einen Chor in einfachen weißen Kleidern, die auch die Protagonisten haben. Durch die Inszenierung geht die Gestalt von Faun, zur Hälfte Frau, zur Hälfte Ziege und bringt darin ein Element der animalischen Anmut, mit Flötestimme begleitet. Der Chor memoriert, kommentiert, erklärt, fragt sich und seine Intonation setzt auch Ödipus (Jiří Mach) fort. Im Moment, wann dieser Stil beginnt langweilig zu sein, kommt Iokaste (Ivana Vaňková) auf die Bühne und bringt Leben, Emotionen, Energie mit.
 
Die Weisheit und Tragik werden vom blinden Seher Theiresias (Josef Jurásek) auf die Szene gebracht.  Es ist sein Verdienst, dass die Sätze aus der Bühne zu hören sind, die aus der Urzeit in die heutigen Tage überragen, die Träger der Macht mit ihrem Gewissen konfrontieren und sie zur Verantwortlichkeit für ihre Wörter und Taten zwingen. Botschaft für alle, die sich klar werden sollten, dass Macht haben vor allem bedeut die Mut haben, diese Verantwortlichkeit auf sich zu nehmen. Die Gestalt von Kreont (Viktor Skála) spricht dann im Namen von allen ungerecht beschuldigten und gibt ihnen der Beispiel, wie man mit dieser Situation mit Ehre zum Rande kommen kann. Darüber hinaus ist alles mit wunderschönem Tschechischen gesagt, dessen Autor der Brünner Dichter Jan Skácel ist.
 
In der antiken Tragödie wird der Schicksal und Willen der Götter akzentuiert. Der Mensch trägt doch die Verantwortlichkeit, auch trotzdem dass er ein Spielball in ihren Händen war und je stärker er sich seinem Schicksal empören wollte, desto mehr sich darin verwickelte. Die Größe von Ödipus besteht gerade darin, dass er sich nicht beklagt und die Verantwortlichkeit auch in diesen Bedingungen annimmt. Die Premiere fand am 30. und 31. Oktober auf der Schauspielbühne des Stadttheaters Brno statt. 
 

König Ödipus und unsere Selbsterkennung

Peter Stoličný 3. November 2010 zdroj divadlo.sk

Es wäre unnötig, den Theaterliebhabern zu beschreiben, worum es sich in Sophokles´ Tragödie König Ödipus handelt. Die Grundfrage lautet also nicht „was“, sondern „wie“. In Brno wurde dieses klassische Stück im Jahre 1972 zum letzten Mal in Szene gesetzt, in der wunderschönen Übersetzung von Jan Skácel. Dieser konnte nach der „Ankunft der befreundeten Armeen“ im Jahre 1968 nicht publizieren – das Regime liebte die Dichter nicht, die in perfekter Übereinstimmung redeten und dachten. Und so schrieb sich der Direktor des Theaters Gebrüder Mrštík und der Regisseur von Ödipus Milan Pásek die offizielle Autorschaft zu. Nach den Zeitgenossen bestand die Schizophrenie der Zeit gerade darin, dass die Bühnenschaffenden wussten, wer der wirkliche Übersetzer ist. Der Dichter Jan Skácel war trotz der Bemühung des Regimes, ihn zu tuschen, eine markante Persönlichkeit. Erst die gegenwärtige Vorstellung König Ödipus ist also anerkannt und öffentlich jene von „Skácel“, in empfindlicher Regie und Bearbeitung von Stanislav Moša, Direktor des Stadttheaters Brno. Ich gebe zu, dass ich die Premiere mit Angst besuchte. Ich bin nämlich an Neuerertum allergisch, wenn es sich um die Werke der Weltklassiker handelt. Und Regisseur Moša ist wirklich ein Neuerer. Er weiß mit Lichteffekten, mit Bewegung der Mizzanszene zu spielen, er weiß mit der Musik sowie mit schauspielerischem Ausdruck zu spielen. Womit wird er also in Ödipus überraschen? Ich fragte bei mir und gleichzeitig wünschte ich mir, dass er niemanden zu viel überraschen will... Auf der reinen weißen Szene mit riesiger weißer Treppe traten die Gestalten in unterschiedlich angekrausten weißen Kostümen (Andrea Kučerová), und so wirkte die ganze Bühne sehr minimalistisch. Der Autor dieser gelungenen Szene ist Jan Dušek. Sophokles´ Versen waren möglichst zivil deklamiert, auch wenn mit Stich des historischen Pathos. Immerhin, es sprach man über das fünfte Jahrhundert vor Christus.

Der Regisseur ließ den Chor auf die Szene zu treten, der genau nach der antiken Tradition den Dialog mit Göttern sowie auftretenden Gestalten führte. Auf der Szene waren meistens, außer dem Chor, nie mehr als zwei oder drei Protagonisten (auch dem Dramatiker Sophokles waren für den Dialog zwei Schauspieler und jener aktiver Chor genug). Das einzige gegenwärtige Theaterelement war die Gestalt von Faun – im wunderschönen Kostüm und als eine Tanzgestalt aufgenommen, die die Atmosphäre der Schlüsselsituationen auf der Szene einleitete. Die Gestalt schien aus den längst vergangenen Bakchanalien und Faunspielen ausgeschnitten zu sein, die wir meistens von den dekorierten Schüsseln und Amphoren des alten Griechenlands kennen.

Der Regisseur  Moša trat zu diesem wunderschönen klassischen Werk mit viel Respekt und Demut und so gab er den Zuschauern den Raum zum Nachdenken über dieses ewiges Thema nachzudenken und die Möglichkeit, die Parallelen mit dem Leben und Ansichten gegenwärtigen Menschen in der Gesellschaft zu suchen. Diese Ödipus-Geschichte hat nämlich immer zwei Ebenen. Deshalb war es zweimal worüber nachzudenken.... Eine ist die Lösung der Frage der Schuld für verbrochene Taten und des Mutes, für diese Schulden Strafe zu tragen. Man kann vereinfacht sagen, dass es hier das bürgerliche Prinzip des Zusammenlebens gelöst wird. Der Einzelne, seine Verantwortlichkeit und die Gesellschaft, die sich an diese Verantwortlichkeit wendet, sich an sie beruft. Die zweite Ebene ist die Zuschauerebene. Der Zuschauer wird durch Schrecken fasziniert. Er empfindet es vom klassischen Gefühl „horror vakui“, wann eine unlösbare Situation die hoffnungslose Leere in uns hervorruft, bis zum Aktions-Gefühl: dieses Schrecken geschah nicht uns, sondern einem anderen.
Hier muss ich mich für eine Weile anhalten und den Philosophen und Hochschulprofessor Jan Patočka erinnern (auch dieser war in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts bei der damaligen kommunistischen Macht der ehemaligen Tschechoslowakei nicht beliebt, deshalb konnte er an der Karls-Universität nicht vortragen). Wir Studenten besuchten ihn bei ihm zu Hause. Dort erklärte er uns seine Haltung zur Antik, die er damals in das Werk mit dem Titel Aristoteles, seine Vorgänger und Erben fasste. Er war einer der Ersten, soviel ich weiß, der über die gesellschaftliche Frage der Schuld von Ödipus nachdenklich wurde. Und wenn ich in meine alte Bemerkungen einsehe, kann ich aus ihnen die folgenden Sätze über strafbares Verhalten zitieren: Dolus diretus ist bewusste Begehung einer Tat. Das ist nicht der Fall von Ödipus. Dolus eventualis ist er auch nicht. Es handelt sich nämlich um keine aus Nachlässigkeit begangene Tat. Ödipus ist also exculpus, außer Schuld. Worin besteht also seine Schuld? Und wenn wir ihn als total unschuldig nehmen, liegt dann die Last der Schuld auf den Göttern? Was Menschliches gibt es dann in jenen göttlichen „Spielen“? Sind wir wirklich nur Puppen in Händen von Mächtigen und können wir mit ihren Kaprizen wirklich nichts tun? Und wenn wir die Last der Schuld auf uns nehmen, bleibt uns nur, uns selbst zu blenden? Uns zu strafen, auch wenn wir unschuldig sind? Die Last anstelle der anderen an uns zu nehmen? Bei den privaten Seminaren von Patočka, vom Regime von Novotný umringt und vom obligatorischen Marxismus-Leninismus verblödet, sahen wir plötzlich im alten Ödipus so viele Fragen aus der Gegenwart, dass wir deswegen nicht ruhig schlafen konnten. Und heute kehre ich dazu zurück, weil ich mir bewusst bin, mit welcher Oberflächigkeit wir in heutiger Zeit des Massenkonsums leben und wie wir, vom Luxus umringt, vergessen, uns Fragen zu stellen.
Womit spricht uns König Ödipus heute an? Ich fürchte, dass es nur jene zweite Seite der Tragödie ist. Jene ewige Zuschauerseite. Sie spricht uns mit Schrecken an und wir sind nicht daran neugierig, wie es ausgehen wird. Das wussten die alten Griechen ebenso, wie wir es auch wissen. Wir sind aber neugierig, wie es gemacht sein wird. Der Regisseur Moša setzte Ödipus so in die Szene, dass wir jenen mythischen Schrecken aus schicksalhaften Ereignissen erleben. In der Psychologie lernten wir, dass die Ansicht von Marter, Blut, Ermordungen, Vollbringung der Todesstrafe die Zuschauer immer dadurch fasziniert, dass sich der Mensch in seinem Unterbewusstsein sagt: das geschah nicht mir, sondern einem anderen. Und dieses Gefühl weckt in der Körperchemie das positive Adrenalin. Deshalb wurde die gotische Literatur der geheimnisvollen Dunkelheit gelesen, deshalb sind wird durch Filmhorror fasziniert, deshalb spielt die Jugend die Computerspiele, in denen die Köpfe mit Motorsäge geschnitten werden. Deshalb sind wird durch Massenunfälle und Flugzeugabstürze faszinieret. Das geschah nicht uns. Gott sei dank. Und die Chemie unseres Körpers erlebt ein undefinierbar angenehmes Gefühl. Das alles weiß Regisseur Moša sehr gut. Und er baut auf diesen reinen und lesbaren Postulaten. Er schuf eine in ihrem Ausdruck minimalistische und in der Darlegung klarreine Inszenierung, um uns, Zuschauern, Möglichkeit und Raum zu geben,  über den ewigen Fragen der Schuld, Strafe und gesellschaftlicher Verantwortlichkeit nachdenklich zu werden.

Alle Protagonisten der Inszenierung spielten in genau definierten und ausgewogenen Rollen. Ödipus in der Darbietung von Jiří Mach war richtig monumental und auch monumental unglücklich. Kreon von Viktor Skála war ruhig und selbstbewusst, Prophet oder Alte genau in den Intentionen des antiken Dramas. Ein bisschen außen stand wegen ihrem Physischen die schöne und zerbrechliche Ivana Vaňková in der Gestalt der Ehefrau und auch der Mutter von Ödipus. Die Ehefrau wurde vom Zuschauer akzeptiert, mit der Mutter war es schon schwieriger. Sie würden mich in der Geschichte einfacher überzeugen, dass es die Ehefrau und zugleich Tochter von Ödipus ist. Es wäre doch eine ganz andere Tragödie. Sehr wirkungsvoll und mit seinem Musikalischen manchmal bis faszinierend war der Chor, der der tragischen Atmosphäre wirklich jene gesellschaftliche Dimension, sowie Fatalität der Tragöde lieferte (Musik Zdeněk Merta, Karel Škarka, Musikeinstudierung Karel Škarka). Ergreifend waren auch vier Kinder auf der Bühne. Sie bewegten sich souverän und waren natürlich und lieb. Schon mehrmals zeigte uns der Regisseur, dass er weiß mit den Kindern zu arbeiten und dass ein Kind auf der Bühne ein sehr gutes, wirksames und Rührung ausrufendes Element ist. Und ein gerührter Zuschauer ist guter Zuschauer...

Stanislav Moša als Regisseur zeigte wieder, dass er ein Theaterzauberer ist, der weiß, den Text weislich zu lesen und sinnvoll zu interpretieren. Und um am Ende völlig eindeutig zu sein, muss ich schreiben, dass ich noch nie einen so gut in Szene gesetzten Ödipus gesehen hatte. Und ich sah ihn wirklich vielmals.

Ödipus von Jan Skácel zum dritten Mal

Jiří P. Kříž 2. November 2010 zdroj Právo

Es gibt keinen Menschen, der den durch sein Schicksal gequälten Herrscher von Theben nicht bedauern würde, dem der Weg des größten Zerstörers von Beziehungen und seines eigenen Glücks sowie des Glücks seiner Familie und seiner Nachkommen von Göttern bestimmt wurde. Sophokles fasste das alles schon fünf Jahrhunderte vor Christus in der Tragödie König Ödipus.


Aus allen Übersetzungen bleibt nur eine die beste, jene von Jan Skácel. Zum ersten Mal wurde sie im Jahre 1973 in Szene gesetzt, geheim, der Dichter war verboten. Die zweite Aufführung im Jahre 1991 erlebte der größte tschechische Dichter der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts nicht mehr (er verstarb am 7.11.1989). Die dritte Aufführung im Oktober 2010 ist dann Verdienst von Stanislav Moša  aus dem Stadttheater Brno.

Versprechen – Geklatsche
„Das Glück der Sterblichen / ist wie ein Traum verloren. / Sprich nicht über Glück, bevor / der letzte Tag zu dir kommt.“ Es scheint, dass Skácel in diesem abschließenden Vierzeiler den Chor sein eigenes Epitaph lehrt. „Die ganze Welt hegte Neid gegen ihn. / Und sieh mal – was für ein schreckliches Schicksal / erwartet ihn am Ende.“

Moša ist kein Provokateur, seine Einstudierung von Ödipus zielt eher an die Dringlichkeit hin. Die Schulden, die der unglückliche König auf sich selbst nimmt, sind gar nicht seine Grausamkeiten. Ist vielleicht sein Vater weniger böse, der in Ängsten vor Erfüllung der Prophezeiung befiehl, den Sohn zu töten? Und ist es ein Verstoß, sich vor Böswilligkeit des unvermuteten Herrschers zu verteidigen, Überzahl zu massakrieren und unbewusstlos Vatermörder zu werden? Mit der Witwe zu leben und Kinder mit ihr zu haben, über die er nicht weiß, dass sie seine Mutter ist? Ödipus kann nicht nur als eine Geschichte über Erfüllung einer Kaprice der allmächtigen Götter gespielt werden. Gott sein Dank, der Mensch nahm von ihnen schon längst ihre Allmacht ab.

Und ragt vielleicht der Verfluchtete nicht über allen, der verspricht, Theben von Pest zu befreien und Königsmörder zu bestrafen, ohne zu ahnen, dass er einen Spruch über sich selbst ausspricht? Er erlässt seine Strafe nicht, im Gegenteil, er macht sie noch scharfer. Oh, tschechische Politiker, wohin kamen wieder ihre Wahlversprechen?  Gott sei dank, der Mensch nahm von ihnen schon längst und mit Recht alle ihre Vertrauenswürdigkeit ab.

Vornehme Gemütsbewegungen Die Szene von Jan Dušek, das sind Stufen eines Amphitheaters oder Forums. Die Kostüme von Andrea Kučerová sind gehörig weiß und roh. Die Musik von Zdenek Merta und Karel Škarka ist vornehm als gute Gemütsbewegungen. Und der Vers von Skácel ist perfekt antik sowie gegenwärtig. Ödipus in der Darbietung von Jiří Mach, das ist eine schauspielerische Erscheinung. Iokasta von Ivana Vaňková ist wunderschön, so dass niemand wundert sich an Ödipus. Kreon von Viktor Skála sehnt nur anscheinend nicht nach der Macht. Sie wird ihm gehören. Erst damit beginnt der Fluch des Geschlechts von Ödipus.

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