Ein realistisches Drama über die mütterliche Liebe
„Die Theaterverwaltung hat sehr guten Geschmack bewiesen. Die Öffentlichkeit bestätigt diese Meinung voll und ganz, indem sie durchweg die Niederträchtigkeit zurückweist, mit der man Ihre Ziehtochter der Sittenlosigkeit bezichtigte! Uns gefällt an diesem Stück, dass nicht nach Effekten gestrebt wird, seine Schlichtheit und Aufrichtigkeit. Am Publikum ist direkt seine echte Aufgewühltheit zu sehen.“ Solche Reaktionen waren 1890 nach der ersten Aufführung des Dramas Ihre Ziehtochter am Prager Nationaltheater zu lesen. Seither wurde das Stück allein nach 1945 ungezählte Male gespielt, seine Bedeutung stieg noch weiter nach der erfolgreichen Opernadaption Jenůfa von Leoš Janáček aus dem Jahr 1904.
Gabriela Preissová (1862–1946) war zu jener Zeit bereits eine anerkannte Autorin und Dramatikerin. Ein Jahr zuvor war ihr erstes Drama Die Bauersfrau uraufgeführt worden, das sie auf Anregung des damaligen Direktors des Nationaltheaters F. A. Šubert auf Basis ihrer eigenen Erzählung geschrieben hatte. Dies war die Zeit, als die neue künstlerische Richtung des Realismus die tschechischen Bühnen erreichte und Stücke, die wir heute als „tschechische Klassiker“ betrachten (Unsere Dickschädel von Ladislav Stroupežnický, Maryša der Gebrüder Mrštík, Vojnarka und Der Vater von Alois Jirásek), sich ihren Platz in den Spielplänen der Theater erobern mussten. Die realistische Darstellung der damaligen gesellschaftlichen Probleme, vielfach bis hin zu einem tragischen Ende zugespitzt, wurde vom Publikum eher zurückhaltend aufgenommen, und die Stücke wurden vielfach als unangemessen und unsittlich gebrandmarkt. Nicht anders war dies auch im Falle der beiden Dramen von Gabriela Preissová. Der damalige Blick auf die zumeist aus dem Landleben stammenden Sujets, die den wahren Problemen der einfachen Leute gewidmet waren, begann sich zum Glück bald zu wandeln. Der Realismus konnte sich seinen Platz auf den Bühnen wie auch in den Herzen der Zuschauer erobern. All die genannten Dramen werden an tschechischen Theatern regelmäßig aufgeführt, die immer wieder neue Inszenierungen hervorbringen.
Ihre Ziehtochter erzählt die Geschichte der in ihrem Dorf geschätzten, aufopferungsvollen, aber strengen Küsterin, die ihre Ziehtochter vor Schande und Leid zu bewahren sucht. Als sie erfährt, dass Jenůfa von Števa ein Kind erwartet, einem leichtfertigen Burschen, der nicht im Sinne hat, sie zu heiraten, entschließt sie sich zu handeln. In ihrer Bemühung, die Ehre des Mädchens zu retten und ihm zu einer besseren Zukunft zu verhelfen, begeht sie eine ebenso verzweifelte wie furchtbare Tat. Während ihre tragische Entscheidung für die Küsterin vernichtend ist und jegliche Moral in Frage stellt, an die sie bis dahin geglaubt hat, findet Jenůfa am Ende Versöhnung, Verständnis und Liebe.
Auf der Bühne unseres Theaters wurde Ihre Ziehtochter bisher nur ein einziges Mal gespielt, und zwar im Jahr 1950 unter der Regie von Zdeněk Dopita. Nach langen Jahrzehnten dürfen sich unsere Zuschauer nun auf eine Neuinszenierung dieses kernigen Stücks aus der Feder von Petr Gazdík freuen.