Pilsen applaudierte...
Kateřina Kočičková 15. September 2008 zdroj MF Dnes
Das Pilsner Publikum besucht am liebsten die Inszenierungen der tschechischen Theater und das Festival bat ihm in dieser Hinsicht eine große Auswahl an: die Schau lud ausländische Kritiker an, denen sie eine repräsentative Übersicht der heimischen Produktion anbieten wollte.
Gleich am Anfang servierte sie das Drama Paul I. des Stadttheaters Brno mit der ausgezeichneten Leistung von Erik Pardus in der Gestalt des zaristischen Diktators, eines Mannes von mehreren Gesichten - des usurpatorischen Despoten, der drakonische Strafen für schlecht zugeknöpfte Uniformen zuteilt, boshaften Witzboldes sowie zarten poetischen Geliebten.
Imposanter a suggestiver Antritt
Viktor Viktora 13. September 2008 zdroj Plzeňský deník
Das internationale Festival Theater 2008 bat faszinierende Inszenierungen aus Serbien sowie aus Brno an. Der sechzehnte Jahrgang des internationalen Festivals Theater in Pilsen meldete sich mit einem wirklich imposanten und suggestiven Antritt an. Es kümmerten sich darum das Theater Atelier 212 aus Belgrad und das Stadttheater Brno.
Dmitrij Sergejevič Merežkovskij (1866-1941) wird zu den Autoren des russischen Symbolismus gezählt. Mit der Genauigkeit des historischen sowie psychologischen Details kam er doch in seinem Werk Paul I. aus den Andeutungen und schuf ein perfektes, hinreißendes Panorama. Mit nicht weniger vollkommener Invention, modernem Gefühl und Verehrung des Textes ergriff die Regie dieses Dramas die Regisseurin Hana Burešová. Drei Stunden lang gelang es ihr, die gespannte Aufmerksamkeit des Zuschauerraums zu halten. Diese graduierte bis zum triumphalen Schlussapplaus.
Das Brünner Theater verfügt über ein großes schauspielerisches Ensembles (wir in Pilsen können nur beneiden), in dem absolute schauspielerische Souveränität herrscht. Die Entsetzlichkeit der Regierung sowie des Gerichtes des paranoischen Zaren, in denen sein vorübergehendes menschliches Gefühlsbewusstsein ergriff, sowie die Verschwörung und der Mord komponierten den ganzen monumentalen Horizont, auf dem der ausgezeichnete Erik Pardus (für die Gestalt von Paul erhielt er den Thalia-Preis), der korrekte und unnachsichtige Regisseur der Ereignisse (Gubernator von St. Petersburg Pahlen) und Petr Štěpán, der sich durch seine Angst vor Vater und Macht (Thronfolger Alexander) stottert, brillierten.
Das Festival Theater Pilsen wurde durch das imposante Drama Paul I.
Jiří P. Kříž 11. September 2008 zdroj Právo
In Westböhmen begann am Mittwoch das sechzehnte internationale Festival, dem Süden Europas gewidmet
In warme Länder begebt sich dieses Jahr das sechzehnte internationale Festival Theater Pilsen, das am Mittwochabend, unter Mitwirkung der Vertreter der Region und Stadt, der Theatrologen, Kritiker und einer Reihe von Gästen aus Ausland im Kammertheater J.K.Tyla eröffnet wurde.
Im Programm überwiegen nämlich die Theaterensembles aus Südeuropa: aus Kroatien, Italien, Slowenien, Serbien. Zagrebačko kazaliště mladih, Theater Atelje 212 Beograd a die serbischen Johan und Mamapapa stellten sich sogar schon gestern, vor der Eröffnung der Schau, vor.
Bravo für Pardus
Der Gipfel des ersten Tages war ein wirkliches Ereignis - die Aufführung des Dramas von Merežkovski Paul I. der Regisseurin Hana Burešová und des Stadttheaters Brno.
Für alle Superlative spricht die Aufzählung der Einschätzungen: Alfréd-Radok-Preis für die beste Inszenierung des Jahres 2007, und dieselbe Preise für Vladimír Franz für die beste Musik und für den Darsteller der Hauptgestalt Erik Pardus für die beste männliche schauspielerische Leistung. Die Außergewöhnlichkeit der Kreation von Pardus wurde auch durch den Thalia-Preis, von der Schauspielereischen Assoziation erteilt, bestätigt. Burešová zusammen mit dem Dramaturgen Štěpán Otčenášek brachten auf die tschechischen Bühnen Dmitrij Merežkovski wieder zurück, den nicht einmal die Abiturenten aus Russischem vor kurzem nicht kennten. Sein Paul I. wurde in der Tschechoslowakei zum ersten und gleichzeitig zum letzen Mal in den zwanziger Jahren gespielt.
Der Autor entfloh aus Russland vor der bolschewistischen Revolution. Er starb 1941 in Paris. Paul I. ist eine spannende Geschichte: ein bisschen ein Krimiroman, ein bisschen Nachdenken über die widerspruchsvolle Zeit des Zarismus am Ende des 18. Jahrhunderts.
Mit den orthodoxen, liturgischen Harmonien sowie mit den dunkeln Tönen, sogar Horrortönen, wurde die Inszenierung von dem Sammler der Radok-Preise - Meister Franz - ausgestattet.
Disziplinierte, genaue, hinreißende Leistung von Erik Pardus in der Titelrolle! In den Lagen von einem usurpatorischen Despoten, selbstbewussten doch alt werdenden Ehemannes und Geliebten bis zu einem durch die mit der französischen Revolution angesteckten Mitverschworenen verfolgten Armen...
Paul I. in Brno - ein weiterer Inszenierungshöhepunkt
Josef Mlejnek 16. Januar 2008 zdroj virtually.cz
Das Stadttheater Brno machte vor einigen Jahren gute Wahl, als sie auf die Zusammenarbeit mit dem Dramaturgen Štěpán Otčenášek und der Regisseurin Hana Burešová setzte. Nach einer Reihe der erfolgreichen Inszenierungen (Der Steingast oder Der Wüstling, Die Andacht zum Kreuze, u.a.) stellten sich diese beide Künstler aus dem Prager Theater Divadlo v Dlouhé in Brno mit der Inszenierung des Dramas des russischen Schriftstellers Dmitrij Sergejevič Merežkovski Paul I. vor. Auf ihre Weise knüpften sie an die Vorstellung Bilder aus der französischen Revolution an, deren Premiere vor sieben Jahren auf ihrer heimischen Prager Szene stattfand. Die Bilder waren doch ehr eine enzyklopädische Übersicht, die mit der mörderischen Gewaltherrschaft des Rousseaus Willens, mittels der dazu außerordentlich befähigten Einzelnen, gipfelt, während die tragische individuelle Geschichte des russischen Herrschers aus der Zeit der unruhigen Wende des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts durch die Gewaltherrschaft in ihrer ganzen russischen Spezifität charakterisiert ist. Paul I. Romanov wird widersprüchlich beurteilt. Er hasste aufrichtig seine Mutter Katharina die Große und nach dem Thronantritt machte dieser Sonderling zum Gesetz, dass eine Frau Zarin werden kann, nur wenn kein genealogisch geeigneter Mann weit und breit verfügbar wird. Er unterdrückte die Konstitutionselemente, aber auf andere Seite wurde der Herrendienst auf dem Zareneigentum um einen ganzen Tag verkürzt. Besser wird Paul I. von den Polen beurteilt: einerseits enthaftete er ihren Nationalheld Kosciuszk, anderseits hielt er sich (wahrscheinlich falsch) für den Sohn des letzten polnischen Königs Stanislav August Poniatowski. Mit Vermutungen wird auch der Tod des Herrschens begleitet, auf dem sein Sohn und Thronnachfolger Alexander teilnehmen sollte. Merežkovskij lässt in seinem Drama das Mitwirken des jungen Zarewitschs praktisch nicht zu. Die Brünner Inszenierung machte die absonderlichen bis tobsüchtigen Elemente des Charakters des Zaren noch ausdrucksvoller. Erik Pardus in der Titelgestalt verkörpert einen entgleisten, wahnsinnigen Mensch, ein zweipoliges Wesen, das an den römischen Keiser Caligula sehr erinnert. Wegen einer Kleinigkeit geriet er in Wut und lässt den Wachkommandanten zum Tod geißeln, auf andere Seite teilt er sich in lyrischen wehmütigen Ergüssen seiner Geliebten "Anuschka" (Evelína Jirková) als ein wehrloses Kind mit. Sehr überzeugend ist der Darsteller von Paul auch unmittelbar vor dem Tod: handelt es sich um Tapferkeit eines tollwütigen Menschen oder um ein Pose? Um beides, aber in einem untrennbaren szenischen Schicksal. Der junge Zarewitsch Alexander (Petr Štěpán) fand an Werken von Rousseau Gefallen, die er unter den Büchern seiner Grußmutter findet. In Frankreich stürzten sich die Ideen dieses Einzelgängers schon in ihren Gegensatz um, aber in Russland warteten sie auf ihre Gelegenheit noch weitere mehr als hundert Jahre. Inzwischen bleiben sie nur mit einem kleinen Finger in der Elite haften - anschaulich werden wir es bei den Diskussionen auf dem Zarenhof sehen. "Die Großmutter" Katharina war zwar mit dem großen Voltaire befreundet, aber anderseits ließ sie ruhig ca. 80 000 römisch katholische Gläubigen in Sibirien deportieren. Die Aristokratie, der außer dem Schicksal des Russlands auch, und zwar erst auf der ersten Stelle, eigener Nutzen am Herzen liegt, will sich von Paul befreien.
Alle Aristokraten werden von Grafen Pahlen, Hauptinitiator der Verschwörung, übertroffen und meistens auch erfolgreich manipuliert. Igor Ondříček machte aus dieser Gestalt einen gleichwertigen Gegensatz des Zaren. Preußisches Fischblut, mit außerordentlicher Eleganz verbunden, Genauigkeit, berechnende Sachlichkeit des Urteils. Überzeugung des Zaren selbst, dass er sich, im Bestreben ihn zu retten, an die Spitze der Verschwörung stellte... Die Szene ist nur anscheinend statisch: abgehängte Platten "alla Modrian" (meistens weiß, aber eine grüne für die Würde der Macht, eine rote für die Momente, wann das Blut fließt) wirken genau wie ein Kontrapunkt nicht nur zu den explosivem Szenen, die mit Zarenmord gipfeln, aber auch zur dynamischen Musik von Vladimír Franz. Eine Hinderung der Flüssigkeit der hinreißenden Handlung ist nur die manchmal ein bisschen ungeschickte akademische Übersetzung. Dem Direktor des Stadttheater Brno Stanislav Moša wird es zuweilen bitterlich vorgeworfen, dass er auf die Kommerz setzte und dass er sich nur um Zuschauererfolg bemüht. Und wenn seine Gegner die Managerfähigkeiten von Moša mit Zähneklappern anerkennen müssen, versuchen sie, ihn auf eine andere Weise infrage zu stellen. Ich sah eine ganz unkommerzielle und künstlerisch ausgezeichnete Vorstellung Paul I. erst bei ihrer zehnten oder elften Reprise. Ausverkauftes Theater und solcher Applaus am Schluss, über den viele andere Szenen bei ihren Premieren nur träumen können. Wo ist jener unkommerzieller Fehler vorgefallen?
Parabel über Labilität der Macht
Vít Závodský 10. Dezember 2007 zdroj Týdeník Rozhlas
Ab und zu hören wir, dass man über das Stadttheater Brno mit drei Ensembles wie über eine Szene, die zu unterwürfiger kommerzieller Produktion zuneigt, spricht. Fürwahr, die Repertoirelinie, die vom Publikum vielleicht die meist ausgesuchte ist, wird von den Musicalinszenierungen dargestellt. Diese werden hier systematisch gepflegt - gleich ob es sich um aus Ausland übernommene Titel (Oliver!, Die Hexen von Eastwick, Fame) oder um die originellen Werke (Eine Welt voller Engel, Koločava, Nana) handelt. Einen nicht weniger wichtigen Bestandteil des Angebots des Theaters bilden doch auch bedeutende dramatische Werke, z.B. die erste tschechische Aufführung des Dramas von Mitterer In der Löwengrube (über Prager Inszenierung dieses Stücks lesen sie in TR 50/2007).
Durch ein Zusammentreffen von Umständen waren die Saisons des Stadttheaters Brno durch die Inszenierungen der renommierten Prager Regisseurin Hana Burešová eröffnet (Der Wüstling, Die Andacht zum Kreuze, Amphitryon; gemeiniglich wurden ihnen Prestigepreise erteilt). Ähnlich war es auch dieses Jahr mit dem bei uns wenig bekannten historischen Drama von Dmitrij Sergejevič Merežkovski Paul I. Es erschien nur nach dem ersten Weltkrieg in Pilsen und dann im Nationaltheater, wobei das Stadttheater Brno die vorherigen Ansichten in das russische Vermächtnis geeignet bereicherte. Die Vorlage wurde von der Brünner Universitätsprofessorin Danuše Kšicová neu übersetzt und zu ihrem außerordentlich gründlichen Programmdruck trugen Štěpán Otčenášek, Pavel Klein und Jiří Záviš als Dramaturgen bei.
Der bei uns viel publizierte Symbolist, Dichter, Prosaiker und religiöse Denker Merežkovskij hielt sich in französischer Emigration auf, wo auch in der bedrückenden Atmosphäre nach der Niederlage der Revolution im Jahre 1905 diese umfangreiche mehrschichtige Tragödie als der erste Teil der freien Trilogie entstand. Der über Geschichte angewiesene Autor beschrieb in ihm einige Frühlingstage im Jahre 1801, wann durch die aristokratischen Mitgeschworenen der widerspruchsvolle Nachkomme der Katherina der Großen Paul I. gestürzt und in seinem Palast in Sankt Peterburg umgebracht wurde und der unmittelbar darauf durch seinen Sohn, späteren Teilnehmer an den Napoleonkriegen, Alexander I. abgelöst wurde. Die Regisseurin reduzierte dieses vielköpfige Stück ein bisschen - doch vielleicht noch wenig. Der dreistündige Abend mit retardierenden Umgestaltungen von acht Bildern ist für die Konzentration der Zuschauer nicht gerade einfach. Die vertikal gegliederte, nicht beschreibende Szene von Tomáš Rusín geht doch den Inszenatoren entgegen. Das erfinderische Prinzip des Kontrasts und der ambivalenten Gestalten sowie Situationen von Merežkovski hebt die mehrdeutige Einstudierung, was das Genre betrifft, hervor. Dabei spielen eine große Rolle die Instrumental- sowie Vokalmusik von Vladimír Franz, die die Dramatik der Handlung unterstreicht, und auch die Zeitkostüme von Zuzana Štefunková, welche mit Farben wie mit Bedeutungs- und Gefühlträgern planvoll arbeitet.
Bei den höflichen Intrigen unterstrich die Regisseurin ihre zeitlose Gültigkeit. Erstickende Atmosphäre der allanziehenden Angst - für jedes diktatorische Regime typisch - ist aus den frostigen Ensemblesequenzen sowie aus der Zentralgestalt des Herrschers zu fühlen. Erik Pardus in seiner Lebensrolle drückte (in zuverlässigem Einverständnis mit den Darstellern anderer Gestalten, z.B. mit Igor Ondříček, Petr Štěpán, Irena Konvalinová, Pavla Ptáčková oder Evelína Jirková) die Unberechenbarkeit des paranoischen Despoten, provozierenden Faxenmachers sowie verletzbaren, verliebten Träumers plastisch aus.
Zeitloser Blick in die grausame Hinterbühne der Macht
Vít Závodský 15. November 2007 zdroj Kam
Umfangreiche mehrschichtige Tragödie, die die schwüle Atmosphäre nach der Niederlage der russischen Revolution im Jahre 1905 widerspiegelt, vergegenwärtigt mit faktographischen Zuverlässigkeit mehrere Märztage des Jahres 1801, wann der despotische Sohn der Zarin Katharina der Größe Paul I. von den aristokratischen Mitgeschworenen in Petersburg entthront und umgebracht und vom Thronnachfolger Alexander I., dem späteren Teilnehmer an der „Dreikaiserschlacht“ bei Austerlitz, abgelöst wurde. Die Regisseurin Burešová mit dem Kreis ihrer ständigen Mitarbeitern reduzierte erkennbar die umfangreiche, reich bevölkerte Vorlage in acht Bildern: sie konnte doch noch rasanter durchstreichen, weil ausführliche Orientierung in den Motiven der Handlung bei so vielen aristokratischen Kommandanten nicht gerade einfach ist und der dreistündige Abend für die Aufmerksamkeit der Zuschauer ziemlich anspruchsvoll ist. Sie begriff doch richtig, dass sie Intrigen auf dem russischen Hof in der napoleonischen Zeit zeitlose Gültigkeit und Modelldimension haben, die aktuelle Parallelen in totalitären Regierungssystemen und Umgebunden späterer Zeit anbieten. Architektonisch gelöste, nicht beschreibende Szene von Tomáš Rusín, die Treppenpraktikabel, notwendiges Mobiliar, drehbare Platten, durchsichtige Textilien sowie kirchliche Symbole (kyrillische Buchstaben, Ikone des Christus) ausnutzt, wirkt mit ihrer reinen Einfachheit wie ein Kontrastelement nicht nur gegenüber der weißen, roten und schwarzen Farbe der Zeitkostüme von Zuzana Štefunková, sondern vor allem wie Gegensatz zu der schnell schwül werdenden Atmosphäre der allgemeinen Angst, in der kein der Plebejer oder adeligen Akteure sich sicher fühlen kann und wo sich auch der neue Monarch nach dem rachsüchtigen Lynchen seines eigenen Vaters begründeterweise um das eigene Leben fürchtet.
Mit der Ausnutzung der außerordentlich suggestiven, monumentalen, Instrumental- sowie Vokalpartitur von Vladimír Franz wechselt die Regisseurin in den Intentionen von Merežkovskij die Ensembles-Szenen (Anfangsszene mit der Parade, kurioser höflicher Ball, Nachtberatung der betrunkenen Rebelle, übereilte Schlusskrönung) mit intimen Szenen. In beiden diesen Ebenen zeigt sich anschaulich der ambivalente Charakter der psychopatischen Titelgestalt. Der bis jetzt vor allem in Komödien auftretende Erik Pardus bewies wieder, nicht lange nach seiner ausgezeichneten Doppelrolle des Bühnenschaffenden Kirsch und des Tirolers Höllrigel, dass er auch ein plastischer Darsteller der widerspruchvollen und komplizierten Charakteren zu sein weiß – in diesem Fall des hinterhältigen und unerforschbaren paranoiden Tyrannen, provozierenden Narren sowie empfindlichen und verletztbaren Träumers, der die Hofdame, Fürstin Anna (Evelína Jirková), aufrichtig liebt. Zu den bemerkenswerten Kreationen der gelungenen, dramaturgisch entdeckenden Einstudierung gehört noch z.B. das zynische, pragmatische, mit seinem Spiel auf beide Seiten den Hals wagende unerschrockene Spiritus Agens des Putsches, Gubernator Pahlen in der Darbietung von Igor Ondříček, der mit den Zweifeln getriebene, unentschlossene, doch ehrliche und gutmütige Zarewitsch Alexander in der Darbietung von Petr Štěpán oder seine moralisch stärkere, anmutige Ehefrau Elisabeth in der Darbietung von Pavla Ptáčková.
Der Mord des Zaren Paul wird im Theater Divadlo v Dlouhé vorbereitet
Jiří P. Kříž 9. November 2007 zdroj Právo
Hana Burešová mit Štěpán Otčenášek werden in Prag vorführen, wie die Inszenierung des Jahres gemacht wird
Eine der besten Inszenierungen des Jahres 2007 wird am Freitag, den 9. November 2007 im Theater Divadlo v Dlouhé erscheinen.
Seine Stammregisseurin Hana Burešová studierte das Stück Paul I. von Dmitrij Merežkovski im Stadttheater Brno ein. Es ist sehr gut, dass es auch die Prager sehen können.
Brillantes Drama eines bei uns fast unbekannten Autors, der aus Russland vor der Revolution flog. Er starb 1941 in Paris. Im Stück Paul I. schildert er die Ermordung des Zaren, Sohns von Katharina der Großen, des Vorgängers von Alexander am Thron, auf dessen Schultern um einige Jahre später die Last der Napoleonkriege ruhte.
Burešová ist in Brno außerordentlich erfolgreich. Ich erinnere an die Bildhaftigkeit und Kraft ihrer Inszenierungen Der Wüstling, Die Andacht zum Kreuze, Amphitryon.
Bravo für Erik Pardus
Disziplinierte, genaue, hinreißende schauspielerische Leistung von Erik Pardus in der Titelrolle. In den Lagen eines militärisch übermütigen Tyrannen, über selbstbewussten doch alt werdenden Ehemann und Geliebter bis zu einem Armen, der von den mit dem europäischen Jakobinertum lächerlich angesteckten Mitgeschworenen gehetzt wird.
Und eine Reihe von anderen Gestalten, die von Igor Ondříček (Patriot Graf Pahlen), Petr Štěpán (Nachfolger Alexandr), Pavla Ptáčková (seine Ehefrau Elisabeth), Viktor Skála (Oberst Fürst Tatarinov), Irena Konvalinová (Zarin Marie Fjodorovna), Evelína Jirková (Pauls Geliebte Anna Gagarinová)... dargestellt werden. Zögern sie nicht.
Ballade über Tod des Zaren Paul I.
Jiří P. Kříž 17. Oktober 2007 zdroj Právo
Hana Burešová mit Štěpán Otčenášk zeigten uns allen, wie man die Inszenierung des Jahres 2007 macht. Wer von ihnen den Namen Dmitrij Merežkovskij kennt? Nicht einmal die vor kurzem obligatorischen Abiturenten aus Russischem. Kein Wunder, sein Paul I. wurde in der Tschechoslowakei zum ersten und letzten Mal in den zwanziger Jahren aufgeführt. Bis es von dem Dramaturgen Štepán Otčenášek gefunden wurde. Für die Regisseurin Hana Burešová und vor allem für uns.
Auf die Szene des Stadttheaters Brno setzten diese zwei ein brillantes Drama des Autors, den wir nicht kennen, weil er aus dem Russland vor der Revolution weglief. Er starb 1941 in Paris. In der Inszenierung Paul I. beschreibt er die Ermordung des Zaren, Sohnes der Katharina der Größen, des Vorgängers von Alexander auf dem Thron, auf dem um einige Jahre später die Kriege mit Napoleon lasteten.
Kriminalroman sowie Drama
Als ob Burešová im Stadttheater Brno große Leinwände realisierte, für die Sie, ausgenommen der mit der Überschwemmung im Jahre 2002 vernichteten Bilder aus Geschichte der französischen Revolution, keinen Raum im Theater Divadlo v Dlouhé hat. Ich erinnere an die Bildhaftigkeit und Kraft von Wüstling, Der Andacht zum Kreuze, Amphitryon. Paul I. ist eine spannende Geschichte: ein bisschen Krimiroman, ein bisschen Nachdenken über widerspruchsvolle Zeitalter des Zarentums. Mit orthodoxen liturgischen Harmonien, sondern auch mit dunkeln Tönen bis Horrortönen wurde die Inszenierung von Vladimír Franz ausgestattet. Durchsichtige variable Flächen und die Stoffwand des Bühnenbildners Tomáš Rusín, die die Geschichte öffnen und schließen. Impressionistische Kostüme von Zuzana Štefunková drücken das Ende des 18. Jahrhunderts aus – von Aristokratismus bis zur Erbärmlichkeit des Zaren - Gehetzten.
Disziplinierte, genaue, hinreißende schauspielerische Leistung von Erik Pardus in der Titelrolle. In der Lagen vom militärisch übermütigen Despot, selbstbewussten sondern alt werdenden Ehemannes und Geliebtes bis zum von den durch den europäischen Jakobinerideen angesteckten Mitgeschworenen gehetzten Armen.
Und eine Reihe von anderen Gestalten, die durch Igor Ondříček (Patriot Graf Pahlen), Petr Štěpán (Thronnachfolger Alexander), Pavla Ptáčková (seine Ehefrau Elisabeth), Viktor Skála (Oberst Fürst Tatarinov), Irena Konvalinová (Zarina Marie Fjodorovna), Evelína Jirková (Pauls Geliebte Anna Gagarinova)... dargestellt werden.
Es kommt mir nur provokativ bei. Wann ein solches monumentales, ausgezeichnetes Kunstwerk im „nicht kommerziellen“ Nationaltheater einstudiert wird? Noch lange nicht.
Zwei Seiten der diktatorischen Mentalität
Zdeněk Hořínek 16. Oktober 2007 zdroj Theaterzeitung
Das historische Drama über den Tod des Zaren Paul I. (1754-1801) wurde vom russischen Romandichter und Essayist Dmitrij Merežkovskij im Jahre 1907 geschrieben. Bei uns war es zum ersten Mal 1919 in Pilsen und ein Jahr später im Prager Nationaltheater aufgeführt. Für die Gegenwart entdeckte das Spiel Paul I. der Dramaturg Štěpán Otčenášek und die Regisseurin Hana Burešová studierte es im Stadttheater Brno ein.
Die Konzeption des Dramas sowie der Inszenierung ist an den Gegensätzen und Kontrasten konsequent gegründet. Es wechseln hier öffentliche und private, ernste und grotesk komische, dramatisch gespannte und intim ruhige Szenen. Es wird auch durch die bildnerische Lösung vorgesagt: bunte historisierende Kostüme (Zuzana Štefunková) in verschieden Tonen von Weiß, Schwarz, Grau und Rot kontrastieren mit der geometrisch erfassten Szene (Tomáš Rusín), deren Grundelemente, außer der spärlichen Möbel (Tische, Stühle, Sofas), transparente, rechteckige Panelle und mobile Praktikabel, mit Stufen versehnen, sind. Die farbige Unterscheidung der Kostüme trägt sicher eine Bedeutung, sie verbindet sich doch mit keinen konventionellen Vorstellungen – z.B. das Weiß wird hier eher als mit der Unschuld, mit der Intimität und Ratlosigkeit, Passivität und Lethargie verbunden. Die Szene zusammen mit der Beleuchtung und der Projektionen suggeriert kalte Atmsphäre der schneebedeckten Landschaft. Die unterschiedlich verschobenen und gestellten Panelle deuten ein unübersichtliches, einem Irrgang ähnliches Terrain von Fluren und Gemächer an. Um die Verwandlungen der Umgebung kümmern sich mit ihrem verirrt produktiven Gewimmel zahlreiche Diener, deren Bajonette und Uniformen gleichzeitig den Eindruck allgemeiner Bedrohung und Bewachung erwecken. Der Charakter der Umgebung und Atmosphäre wird von der allgegenwärtigen Musik von Vladimír Franz noch erhoben, die neben ihrer illustrativen und metaphorischen Funktion (Trommeln, Blasen, Marsche, finsteres Gekrächz der Krähen) auch wie ein dramatisches Element stark wirkt, das nicht erlaubt, dass es bei den Umgestaltungen zur Senkung der Spannung und Erregung kommt, und das auf der anderen Seite die privaten Szenen und sentimentale Auftritte fein untermalt.
Der grundlegende Gegenstand besteht doch in widersprüchlichem Charakter und schockierender Verhaltung des Gewaltherrschers, was zu unerträglicher Spannung zwischen Macht und Gesellschaft führt. Die Gesellschaft wird doch nicht durch Volk, sondern durch politische und militärische Funktionäre repräsentiert. In der Titelgestalt bekam vielleicht seine Lebensgelegenheit Erik Pardus und er bewältigte sie auf faszinierende Weise. Mit plötzlichen und unlogischen, unerwarteten, dennoch auf verschiedene Weise motivierten Verwandlungen der Stimmung, die von rücksichtsloser Aggressivität bis zu reuigem Ergreifen reichen, mit grinsenden und sofort danach starren Mimik, verrückten Bewegungen und Gesten, die nur in den Armen der Geliebte zart werden, ruft er ein ambivalentes Gefühl hervor, dass es sich um einen grausamen und gefährlichen Wahnsinnigen und zugleich um einen tiefverletzbaren empfindlichen Mensch handelt.
Die Unberechenbarkeit von Paul projiziert sich deutlich in die höfische Ordnung, die gleich im Einführungsbild der Parade gezeigt ist. Die militaristische Genauigkeit und Strenge kreuzt sich hier mit Zufälligkeit. Ein verdienter Feldwebel wird wegen einem geringfügigen Fehler vom Zaren mit vier hundert Stockschlägen bestraft. Die Vorführung der militärischen Kraft (bei der wir die opferbereite Bemühung der Jungen schätzen werden, denen vielleicht der Vorteil des Pflichtmilitärdienstes abgesprochen blieb) ist zugleich eine anschauliche Demonstration des politischen Systems. Es störte mich nur, dass die rauschende Musik manchmal die Befehle des Zaren und die Kommentare der Kommandanten übertönte.
Der Initiator und Kopf des zarenfeindlichen Widerstandes, Graf Pahlen, ist in der Darbietung von Igor Ondříček mit seinem Aussehen sowie Charakter, mit seiner ruhigen Autorität ein richtiger Gegenstand des Zaren - hoch, gut gewachsen, mit nicht lesbaren Ausdruck auf dem Gesicht, unter dem wir verborgene Absichte sowie melancholische Skepsis des Menschen, der genug weiß, um über die Bekehrung zweifeln zu können, ahnen können.
Redefertig wird es mit einem Bild des Treffens von Mitgeschworenen gezeigt, bei dem politische Streite mit Gesprächen über Huren und Soff wechseln, bei dem hohe Proklamationen vom Geschrei der Betrunkenen unterbrochen werden. Auffällig setzen sich hier vor allem rabiater Tatrinov in der Darbietung von Viktor Skála und zotiger Narr Skarjatin von Jan Mazák, je rückständiger desto lautsprechender, durch. Lebhafte Mitgeschworenenanarchie scheint schließlich so absurd wie die kalt unmenschliche Ordnung zu sein. Der Ausgang der Aktivität der Mitgeschworenen und der dramatische Gipfel des Abends ist das Bild der Ermordung des Zaren, deren chaotisches Verlauf den Geisteszustand der Mitgeschworenen dokumentiert, die von Wut und Angst beherrschen sind, die sich unter die Anonymität der beigebrachten Wunden verbirgt.
Zwischen beiden Lagern schwankt die Gestalt des Thronfolgers, des Sohn von Paul Alexander. Petr Štěpán drückt seine Unentschlossenheit – im Kontrast zu seiner Männlichkeit- mit faulen Stellungen und „Liegungen“ (charakteristische Lage auf schneeweißem Sofa) durch, die er mit hysterischen Ausbrüchen von Unsicherheit und durch machtlosen Widerstand durchsetzt. Sein Bruder Konstantin (Ondřej Smysl) figuriert zwar auf dem Hintergrund der Handlung, seinen ironischen Kommentaren würde doch größere Durchschlagkraft nützen.
Auch wenn es sich im Spiel vor allem um Machtangelegenheiten, also in damaliger Situation vor allem um männliche Angelegenheiten, handelt, es gelang an Merežkovskij, drei typische weibliche Stellungen und Schicksale auszudrücken.
Unterworfene und verworfene Frau, Opfer der männlichen Willkür - Zarin Maria Fjodorovna (Irena Konvalinová) flattert in zarter Bemühung, die Aufmerksamkeit zu fesseln, mit naivem Ausdruck wundert sie sich über alles und versteht nichts. Erst im tragischen Schluss bekommt sie durch wahres Leiden menschliche Würdigkeit. Frau Trösterin – Geliebte von Paul Anna Gagarin (Evelína Jirková), in deren warmen sinnlichen Umarmung der Zar ein bisschen Ruhe und Ausgewogenheit findet. Und schließlich aktive Frau – Ehefrau von Alexander Elisabeth (Pavla Ptáčková) bemüht sich vergeblich, mit männlicher Entschiedenheit in ihrem Partner Resolution zur Tat zu erwecken.
Die Regisseurin Hana Burešová bereitete zusammen mit dem Dramaturgen (durch Eliminierung von vielen Gestalten und durch Kürzung vor allem der zweiten Hälfte) die optimale Version eines szenischen Texts vor, bewältigte mit Souveränität komplizierte kollektive Handlung, hielt hinreißende, planvoll gradierte Spannung in lauten öffentlichen sowie in ruhigen intimen Szenen, sonderte kontrastvoll unterschiedliche Genrelagen und führte die Darsteller der Hauptgestallten zu reizend ambivalenter Auffassung der Charaktere.
Die Widersprüchlichkeit der Gestalt von Paul I. erfasst hellsichtig die Doppelseite der diktatorischen Mentalität, in der sich die tierische Grausamkeit mit (anscheinendem) Humanismus der utopistischen Bemühungen überraschend vereinen kann. Es zeigt sich hier auch der legendäre russische Messiasismus, der versucht, mit eigenen Kräften Probleme der Welt zu lösen und so Messias der Welt zu werden. Die Herrschungsweise von Paul kann nicht nur an bizarre Manieren von verschiedenen gegenwärtigen Tyrannen, sondern auch an politische und diplomatische Praktiken von totalitären Regierungssystemen erinnern.
Dieses alte Drama, in dem wir Ähnlichkeiten mit Shakespeare sowie mit Dürrenmatt suchen können, wirkt in heutiger bildungsfähiger Interpretierung wie ein höchst aktuelles Drama.
Nachsommer in Prag, Brno und Pilsen
Vladimír Just 1. Oktober 2007 zdroj Literaturzeitung
Diese Theaternotiz wird an zwei außerordentliche Inszenierungen im Theater Komödie und im Stadttheater Brno gewidmet.
Wenn nicht anders, allein die Aufführung des historischen Dramas von Dmitrij Merežkovskij Paul I. im Stadttheater Brno (Regie Hana Burešová, Musik Vladimír Franz, Szene Tomáš Rusín) ist im Kontext des gegenwärtigen tschechischen Theaters eine bedeutende dramaturgische Entdeckung. Als ob diese ein hundert Jahre alte Inszenierung über einen zweimal ungestalteten, schließlich schlecht und recht bewältigten blutigen Putsch gegen dem kindischen aber desto gefährlicheren Zaren und über antiheldische Geburt des späteren Helds der napoleonischen Kriege, des Zaren Alexander, von Friedrich Dürrenmatt geschrieben wurde – und zwar ganz vom kurzem: sie arbeitet nämlich mit dem Paradox wie mit der grundsätzlichen Wahrheit der Geschichte. Paradox ist hier die historische Rolle der „Revolutionsmasse“ und ihrer Führer (jeder ist ein notorischer Feigling, Schwätzer, Alkoholiker oder Opportunist, erst zusammen formen sie eine blutige Truppe, deren heroisierte Taten dann falsch medialisiert in die Geschichte eingehen werden), paradoxvoll ist selbst der Schwächling Alexander (ausgezeichnete, auf der Kante der Unerträglichkeit gründlich gehaltene Kreation von Petr Štěpán), der zu einer Revolutionsaktion und auf den frei gewordenen Thron geschoben sein muss. Paradox ist die „Revolutionsaufgabe“ der, wie wir es heute sagen würden, emanzipierten Frauen, die die feigen Halse der Männer drehen (Alexanders Ehefrau in der Darbietung von Pavla Ptáčková), paradoxvoll sind auch beide schicksalhaften Frauen des Zaren und ihre widerspruchsvolle Gefühle zum Despot (resignierte, ganz außer sich befindende Zarin Maria in der Darbietung von Irena Konvalinová und unkritisch liebende Geliebte Anna in der Darbietung von Evelína Jirková). Ein typischer Paradox ist die Titelgestalt selbst, die eine andere unvergessliche Kreation von Erik Pardus ist – wievielte nur schon? Sein Paul stellt sich zuerst als Konzentrat der Grausamkeit, Rachsucht und Wut à la Hitler vor, der auf unwichtigen Kleinigkeiten basiert (seine Beziehung zu Untergeordneten, mit denen er wie eine Katze mit Maus spielt, doch überraschend genau Vieles von der Paranoia von Stalin antizipiert). Unmittelbar darauf wird er doch dank der spiellustigen Infantilität und kindlichen Hilflosigkeit und dank seiner verblendeten Verliebtheit in die Geliebte vermenschlicht (in diesen Momenten erinnert der Zar den peruanischen Vizekönig von Werich aus der Inszenierung von Merimée). Und selbstverständlich, die Verkörperung der paradoxen Auffassung der Gesichte ist die mephistophelische Gestalt des Militärgubernators Pahlen, als die treibende Kraft aller Handlung, eines gewissen Josef Fouché auf russische Weise, der bereit ist, sämtliche „schlechte“ Mittel , einschließlich Lügen, Intrigen und menschlicher Leben dem „guten“ Endziel zu unterordnen (ausgezeichneter Gegenspieler von Pardus Igor Ondříček). Hellsehende Skepsis, mit der der geniale Merežkovskij die Revolutionsereignisse, einschließlich späterer bolschewistischen Revolution, als absolutes metaphysisches Böse von Anfang an bewertete („…unseres russisches Unglück ist nur ein Teil des weltweiten Unglücks. Wir sind die Ersten, doch vom langen nicht die Letzten…“, 1922) ermöglichte an Hana Burešová, in Brno – nach ihren in Prag realisierten Bildern aus der Geschichte der französischen Revolution und nach Den Dämonen – eine andere große historische Leinwand zu schaffen, die an die Tradition der großen Bühnenreflexionen der Geschichte anknüpft, die so beunruhigend auch die gegenwärtigen Ereignisse bei uns sowie in der Welt erinnert.
Ein anderer Hit der Regisseurin Burešová
Luboš Mareček 29. September 2007 zdroj MF DNES
Das historische Drama Paul I, dessen Autor der berühmte russische Symbolist Dmitrij Merežkovskij ist, wurde vor genau einem halben Jahrhundert herausgegeben. Der meist geschätzte dramatische Text von Merežkovskij, jetzt in der Regie von Hana Burešová, wurde im Stadttheater Brno "abgestaubt". Das Spiel über die letzten drei Jahre des Lebens des russischen Imperators war auf den heimischen Bühnen zum letzten Mal im Jahre 1920 zu sehen. In der Titelrolle des ermorderten Zaren exzellierte der große tschechische Schauspieler Eduard Vojan.
Im Abstand von beinahe neun Dekaden kehrte zum Spiel das Schauspielensemble zurück. Im Theater erschien so ein dramatisch interessantes, regiewirksames und zuschaueranspruchvolles Stück. Auch trotzt den beinahe obligatorischen Hinweisen der Bühnenschaffenden auf die Zeitlosigkeit des Textes wartet auf den Zuschauer vor allem ein effektvolles historisches Bild. Anziehendes Spitzeltum in der Hinterbühne der Mächtigen, das von dem unabwendbaren Mord besiegelt ist, ist für die Zuschauer mehr zerknallfähig als die avisierte Parabel über den zusammenbrechenden Gewaltherrschaften.
Erfolgreiches Tandem
Die Regisseurin Hana Burešová in der Zusammenarbeit mit dem Dramaturgen und ihrem Lebenspartner Štěpán Otčenášek schuf für das Stadttheater Brno schon die ihre vierte Inszenierung mit dem hiesigen Schauspielensemble. Das Tandem Burešová-Otčenášek bestätigte seinen Ruf über erfinderische "Theaterarchäologen" in Brno schon früher: es kam mit einer komischen Rokokooper, mit einem mystisch beseelten Barockdrama sowie mit einer klassizistischen, durch einen antiken Mythus inspirierten Tragikomödie mit.
Zeit der Intrigen und Zweikämpfen
Und dieses Jahr, gleich am Anfang der neuen Theatersaison, steuerte Burešová dem alten Russland zu. In der Tragödie Paul I. aus dem Jahre 1907 beschrieb Dmitrij Merežkovskij die letzten drei Jahre des Lebens des russischen Zaren - Despoten sowie Schwächling, der im Jahre 1801 ermordert und auf dem Thron von seinem Sohn Alexander I abwechselt wurde. Im Unterschied zu den vorherigen Brünner Stoffen von Burešová zeichnet sich hier ein düsteres Bild voll von Intrigen und Machtkämpfen ab, von denen auch die persönliche Tragödie des Protagonisten erwächst.
Die phantastisch illuminierte und geschminkte Inszenierung setzt auf die Kontraste: jene geschichtliche sowie dramatische. Der Despot in der Darbietung von Erik Pardus ändert sich rasch in einen wütenden Tyrann, hysterischen Knirps oder kindischen Geliebten. Die wirksame dramatische Spannung entsteht zwischen dem obligatorischen Kultus des unberechenbaren Zaren und den Umtrieben der freisinnigen Aristokratie. Die Aristokratie, die den Umsturz gegen den Alleinherrscher ausspinnt, ist doch keine Zusage der mehr demokratischen Ordnung, sondern eine Horde von Leuten, die sich um ihre Krippe fürchten. Aus dem Ensemble geht es Erik Pardus gut, der seine Grimassen sowie Launen flexibel ändert. Die beliebte Lage eines schlüpfrigen Intriganten ging Igor Ondříček als Graf Pahlen um, der zwischen dem Dienst für seinen Herrscher und für seine Heimat laviert. Eine interessante Studie der resignierten, in Hintergrund gesetzten Frau ist die Zarin von Irena Konvalinová. Mehr als eine liebe Perle ist die Doppelrolle von Michal Nevěčný.
Pavlovs Faszination vom Militärdrill ist in der Inszenierung sogar zu fühlen. Aus den Kleidern des Zaren á la Napoleon, aus den puderweißen Perücken (Kostüme Zuzana Štefunková) oder aus den Reihenübungen weht ein vielsagendes Armeegeruch. Die passenden Uniformen und manchmal leichenblasse Schminke ergänzen die Vision der Regisseurin. Burešová inszeniert die Tragödie des launischen Zaren manchmal auch auf die groteske Weise. Die Vorbereitung des Umsturzes durch die besoffenen Adeligen und zukünftigen Mördern zeichnete sie mit sogar vergnügter Bissigkeit ab. Die Adeligen ändern die Ordnung mit dem Maul, gekrümmt mit einer Flasche Wodka.
Die phantastische Atmosphäre des dreistündigen Abends ist von den weitschweifigen doch funktionellen Umgestaltungen gezeichnet. Die geometrische Szene von Tomáš Rusín ist von den weißen Blenden und Paneelen funktionell geschnitten, hinter denen manchmal die Kerzen blinken und manchmal die Schatten schimmern. Die Atmosphäre der Inszenierung wird doch durch die allgegenwärtige Musik von Vladimír Franz am meisten gestärkt. Er nutzte zum Beispiel Spinett oder Zitierungen der orthodoxen Gesängen aus. Burešová weckte in Brno einen weiteren interessanten Text. Sie schuf eine ziemlich gemessene, suggestive sondern nicht schreiende Inszenierung über eine interessante historische Gestalt, die so unerforschlich wie die Schleifen der Macht war.
Erfolgreiche Einleitung
-jpg- 15. Januar 2007 zdroj Úspěch
Seine 63. Saison eröffnete das Stadttheater Brno damit, dass es die Zuschauer gleich im September zu zwei Premieren einlud, die ein angenehmes Feedback fanden. Jede hatte doch eine andere Orientierung.
Die Vorstellung, die auf der Schauspielbühne aufgeführt wird, ist eine hinreißende Freske des Lebens in Russland unter der Herrschung des despotischen Zaren Paul I., der ausgezeichnet von Erik Pardus dargestellt wird. Die Zuschauer kennen ihn vor allem wie einen Komiker, er bewies doch schon mehrmals, auch die Rolle mit ernster Auffassung zu beherrschen. Sein Zar Paul I. ist eine tobende Naturgewalt, die kein Mitleid hat, sondern auch ein sehnsuchtsvoller, verliebter Mann oder ein unsicher bis furchtsamer Herrscher in Bedrohung. Ausgezeichnet ist auch (ich schreibe über die zweite Premiere am 9.9. dieses Jahres) Igor Ondříček als Graf Pahlen, Gubernator der Stadt Petersburg, der Mann, der eigentlich das ganze Geschehen steuert und der listig sowie rachsüchtig zu sein weiß. Es bleiben doch keine Akteure zurück, z.B. Petr Štěpán (Alexander, Thronnachfolger), Oldřich Smysl (Konstantin, der zweite Sohn des Zaren), Ladislav Kolář (General Talyzin). Aber auch andere sind zu nennen: Zdeněk Junák (Niklas Zubov), Viktor Skála (Fürst Tatarinov), Josef Jurásek (Graf Benigsen), Alan Novotný (Platon Zubov), aus der weiblichen Besetzung dann Irena Konvalinová (Zarin), Evelína Jirková (Geliebte des Zaren), Pavla Ptáčková (Elisabeth, Ehefrau von Alexander). Zum Erfolg trugen auch die Schauspieler in den Episodenrollen bei.
Paul I.
David Kroča 1. Dezember -1 zdroj ČRO 3 Vltava
Das Drama Paul I. entstand während der russischen Revolution im Jahre 1905 und bei uns wurde es in den zwanziger Jahren im Prager Nationaltheater aufgeführt. Das wenig bekannte Stück beschreibt die letzte Phase der Verschwörung im Jahre 1801, die mit dem Mord des Zaren Paul I. und mit der Krönung seines Sohns Alexander gipfelte.
Die Regisseurin Hana Burešová lockten nicht nur die zeitlose Parabel über den Austausch der Diktatoren, sondern auch die komplizierte und widersprüchliche Titelgestalt. Paul I. tritt im Drama als ein hartherziger Tyrann, der die Soldaten zum Beispiel nur wegen einem kurzen Zopf auf der Perücke peitschen lässt, sondern auch als ein kindischer wehrloser Geliebte auf, der sich im weiblichen Keil ängstlich duckt. Die Regie inszeniert Paul I. als ein großer Ausstattungsfilm, dessen Hauptthema Angst ist. Angst vor dem Herrscher und Angst des Herrschers. Die gedrängte Atmosphäre wird auch von der sterilen Szene von Tomáš Rusín geschaffen, der die Dekorationen wie transparente Hängerechtecken mit der dominanten weißen und roten Farbe entwarf. Die ausgezeichnete Musik von Vladimír Franz ist drohend monumental, in einigen Passagen, vor allem bei den Umgestaltungen, erinnert sie an die wirkungsvollen Filmmelodien.
Ein ziemlich zuverlässiger Darsteller von Paul I. ist Erik Pardus, dem sowie die Lage des schreienden, allmächtigen Tyrannen, sowie die Momenten der Beruhigung, wann er seine Gemütsbewegungen nur in der Mimik erkennen lässt, passen. Der Thronfolger Alexander wird von Petr Štěpán als ein bedrückter Hascherl, Schwächling dargestellt, dessen Hand von den Verschwörern und im besseren Fall von seiner eigener Frau in der Darbietung von Pavla Ptáčková geführt wird. Die gelungene Figur des Gegners des Zaren wurde von Igor Ondříček geschaffen. Den Hauptorganisator der Verschwörung nahm er als einen geradlinigen Zyniker an, der kalt, rationell, auf den ersten Blick nur mit einem mehrdeutigen Lächeln auf seinen Lippen handelt.
Paul I gehört zu den dramaturgischen Entdeckungen, die auf der Bühne des Stadttheaters Brno schon ihren festen Platz haben.
Hinreißendes Drama des zaristischen Russlands
Iveta Macková 1. Dezember -1 zdroj Kult
Die Eröffnungspremiere der dreiundsechzigsten Saison des Stadttheaters Brno war das historische Drama Paul I. nach Dmitrij Sergejevič Merežkovski. Die Uraufführung fand am ersten Septembersamstag statt, und zwar auf der Schauspielszene. Die Brünner Autoren - Regisseurin Hana Burešová und Dramaturg Štěpán Otčenášek - verkürzten das originelle Drama und zugleich reduzierten sie auch die Anzahl der Personen, wobei einige Schauspieler auch zwei Gestalten darstellen.
Die Ausstattungsszene von Merežkovski ist in der Brünner Inszenierung von symbolischer Vertretung der Gestalten sowie Ausstattung ersetzt. Die dramaturgische Regiekonzeption minimalisiert die notwendige Anwesendheit von großen Armeen nur auf einige Schauspieler, die so "massiv" marschieren (reichlich und unentbehrlich durch die Musik unterstützt), dass sie den Eindruck einer vielköpfigen Kavallerie erwecken. Der Andeutungsszene von Tomáš Rusín sowie den Kostümen von Zuzana Štefunková dominieren weiße und schwarze Farben, in den dramatischen Momenten erscheint Rot. Die szenische Einfachheit wird von der szenischen Musik von Vladimír Franz unterstrichen, die die dramatischen Situationen und Szenen voll ausklingen lässt. Die Musik von Franz ist neben den schauspielerischen Aktionen ein der Hauptpfeilen der Inszenierung.
Mehr als glücklich war auch die Wahl der Schauspieler. Die Titelrolle des Zaren Paul I. wird vom Erik Pardus bravourös gespielt, der mit jedem Austritt seiner Gestalt, mit jeder einzelnen Szene oder Dialog wirklich "liebkost". Jedwede Lage ihrer Rolle geht ihm aus dem Mund sowie aus den Gesten fließend aus. Seine Gestalt kulminiert zwischen der Grausamkeit des tyrannischen Despoten und der Intimität des Geliebten und Träumers. Der Sohn des Zaren und Thronfolger, der blutjunge und empfindliche Alexander wird von Petr Štěpán auch brillant dargestellt. In der Rolle seiner Frau Elisabeta stellt sich Pavla Ptáčková vor, in anderen Rollen sind Igor Ondříček als Gubernator Pahlen und andere zu sehen.
Die neue Inszenierung bietet ein solides dramatisches Spektakel mit ausgezeichneten schauspielerischen Leistungen und mit ihrem Stoff sowie hochwertiger Einstudierung zieht sie nicht nur die treuen Besucher des Stadttheaters Brno, sondern sicher auch zufälligen Zuschauer oder die Studenten an.