DAS STADTTHEATER BRNO FÜHRTE CHICAGO IN WILTZ IN LUXEMBURG AUF
Vítězslav Sladký 28. Juli 2016 zdroj www.musical-opereta.cz
(…) Dank seinen Musicalproduktionen wurde das Stadttheater Brno schon traditionell zu einem bedeutenden Bestandteil des Festivals; dieses Jahr stellte es hier seine Arbeit schon zum elften Mal vor. (…) Das Programm erreichte seinen Höhenpunkt am 22. und 23. Juli mit zwei Wiederaufführungen des berühmten Jazzmusicals Chicago, das für diese Gelegenheit vom Stadttheater Brno in der ursprünglichen englischen Version einstudiert wurde. Das Musical Chicago bietet eine sehr unterhaltende Schau ein. Wer würde sich nicht für Korruption, Boulevardkampf, Sexy-Mörderinnen, Gewalt oder riesige Dosis von Schwarzhumor nicht interessieren; das alles mit beliebten Hits und mitreißenden Tanznummer bereichert. (..) Die englische Version wurde meistens von der ursprünglichen Besetzung einstudiert, welche die Zuschauer aus den Wiederaufführungen in Brno kennen - Svetlana Janotová stellte sich als Velma Kelly, Vojtěch Blahuta als Ansager, Milan Němec als Amos Hart, Hana Kováříková, Lenka Janíková oder Andrea Zelová als Sexy-Mörderinnen vor. Hinsichtlich zu großer Quantität des Textes sowie zu den Betriebsumständen machte Petr Gazdík, der die englische Version von Chicago in Szene setzte, eine Änderung in der Besetzung der Mörderin Roxie Hart und des beredeten Rechtsanwaltes Billy Flynn, für die er die Schauspieler Francesca Hoffman und Chris Warner Drake bei einem Konkurs in London fand. Das Publikum in Wiltz war von Chicago aus Brno begeistert und belohnte die Schauspieler sowie Inszenatoren mit einem langdauernden Applaus.
PERFEKTE MORDSHOW IN BRNO
Lenka Šaldová 3. Mai 2011 zdroj Theaterzeitung Nr.9
PERFEKTE MORDSHOW IN BRNO
Die Medien diktieren uns, was und wen wir beachten sollen. Von wem man nicht schreibt und spricht, der scheint nicht zu sein. Was ist die Realität und was nur eine mediale Pseudorealität? Und was sind wir bereit zu machen, um eine Weile des Ruhmes zu erleben? Stanislav Moša hat Rech: heute ist es einfach, aus einem Gauner Zelebrität und aus einer Null Star zu werden!
Das Musical Chicago, das nach seinem ursprünglichen Misserfolg einige zehn Musik- und dann auch Filmpreise gewann, ist doch keine Moralität zum Thema Kraft der Medien, sondern vor allem eine effektvolle Musik-Tanz-Show. Und für eine solche gibt es keine bessere Adresse bei uns als das Stadttheater Brno. Stanislav Moša studierte Chicago mit Verständnis für Übertreibung, in einem imaginativ beleuchteten, Kabarett sowie Gefängnis darstellenden Raum ein. Der Ansager - Vojtěch Blahuta debattiert mit den Zuschauern in den ersten Reihen, dann setzt er sich zum Klavier und zusammen mit der Kapelle spielt Jazz. Die Damen zogen nur Netzstrümpfen, Strumpfhalter und Unterkleid an, so dass sie ihre sexy Körper und Beine entdecken. Ihre Nummern haben Pfiff, gleich ob die sechs Mörderinnen einen Mordtango singen oder die Hauptprotagonistinnen Velma Kelly – Ivana Vaňková und Roxie Hart – Ivana Skálová zusammen auftreten. Der zynische, charmante Rechtsanwalt Billy Flynn - Dušan Vitázek genießt seine Rolle eines Manipulators, von dem das Schicksal der Mädchen abhängt. Ergreifend singt Milan Němec als „Clown“ Amos Hart seinen traurigen Song über das Los eines immer ignorierten Menschen. Für eine Weile wird die Bühne auch von der extravaganten „Operetten-Journalistin“ Mary Sunshine in der Darbietung von Martina Severová beherrscht. Und das Beste kommt am Ende: Mutter Morton - Markéta Sedláčková singt ihren Song so, dass es wirklich atemberaubend ist. Eine durchaus professionelle Inszenierung, temperamentvoll und unterhaltend. Im Stadttheater Brno weiß man einfach es zu machen.
Chicago in Brno: sehr gut
Luboš Mareček 2. April 2011 zdroj Magazin Víkend DNES
Chicago in Brno: sehr gut
Chicago in Brno hat interessante historische Koordinaten. Die tschechoslowakische Premiere fand gleich drei Jahre nach der Weltpremiere statt: 1978 erschien es auf der Bühne des Theaters der Gebrüder Mrštík, also des heutigen Stadttheaters Brno. Um ein Jahr früher als es nach London oder Prag gelangte.
Das banale Attribut „zeitlos“, mit dem die eingeführten und mit versteinerter Beharrlichkeit aufgeführten Stücke oft bezeichnet werden, steht hier doch zu Recht. Einige Stücke werden nicht alt. Obwohl sie sich die Attribute des Gangster-Amerika der zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts behalten, spüren die Zuschauer auch die Gegenwart aus ihnen. Die satirische Geschichte über Korruption, falsche Moral und Manipulation mit öffentlicher Meinung scheint aus den heutigen Tagen aufzutauchen. Die zum Schein tränenfeuchten Mörderinnen ihrer Ehemänner werden hier zwar nicht befreit, die unehrliche Handlung (im Musical gibt es keine nicht korrupte Gestalt) ist hier in unerschöpflicher Menge zu finden. Dazu ist noch die unversiegbare menschliche Sehnsucht nach Ruhm, Glück, Schönheit und Reichtum um jeden Preis hinzugeben... Die Geschichte der zwei schönen Mörderinnen entstand nach einem wahren Ereignis.
Zweikampf um die Mörderin der Woche
In der Geschichte mit dem ausgezeichneten Libretto und mit der phänomenalen Musik sehnen zwei Schönen Velma Kelly und Roxie Hart im Gefängnis nach dem Ruhm. Beide nutzen die teueren Dienstleistungen des berühmten Rechtsanwalts Billy Flynn, zynischen Blutsaugers und Manipulators, aus. Und in diesem Fall der zwei Sünderinnen geht es gar nicht um die Freiheit und Begnadigung; die beiden kämpfen vor allem um die Vorderseiten der Zeitungen und um den Titel „Mörderin der Woche“ und versuchen aus ihrer Position möglichst viel zu gewinnen.
Der Regisseur Moša macht aus diesem Korruptionsmusical absichtlich noch einen größeren Zirkus. Die Schauspielerinnen, meistens nur in einem Strumpfhalterkostüm, überspielen manchmal alles bis zu Übertreibung. Ein Beispiel dessen ist der ausgezeichnete Auftritt, in dem Roxie ihren Mann überredet, viel Geld für den Rechtsanwalt beieinander zu haben. Die komischen körperlichen Gelenkübungen, die dabei Radka Coufalová vorführt, bringen das Publikum zum Lachen und gleichzeitig unterstreichen die scheußliche Berechnung dieses Verhaltens.
Bissigkeit und Stacheligkeit eskaliert in einen bitteren Punkt
Und die Regie versucht, gemäß den Genre-Mantinellen die Handlung zwischen der Hyperbel und Lächeln, bei dem es aus dem unskrupulösen Verhalten manchmal auch fröstelt, zu halten. Zur Perfektion braucht Chicago ein hochwertiges Ensemble und Orchester. Das Stadttheater Brno verfügt über beides. Siebzehn Musikanten spielen in Gefängniszellen, die in drei Stockwerken der riesigen, das Kriminal und seine Zellen darstellenden Konstruktion situiert sind. Auf der Bühne steht dann nur ein Klavier. Und aus der Platte dieses Flügels, den der Ansager spiel, wird einmal ein ehebrecherisches Bett, ein anders Mal reckt sich Roxie verführerisch auf ihm. Chicago ist doch wortkarg, hier springt man von einem Lied zu dem anderen.
Ein wirkliches Erlebnis ist Vojtěch Blahuta in der Gestalt des vielseitiger Ansagers; mit Ehren bestanden auch die beiden Hauptprotagonistinnen: Ivana Vaňková (Velma) und Radka Coufalová (Roxie). Die erst genannte beherrscht einfach mit ihrem dunklen Timbre sowie mit genau bewältigtem Tanz die ausleerte Bühne. Coufalová ist dann ein kleines Luder, die mit Mimik und Gesten zu spielen weiß, wobei sie nicht in der Stimme oder Bewegung versagt und mit der Ironisierung ihrer eigenen Figur ausgezeichnet zu arbeiten weiß. Flyn in der Darbietung von Petr Gazdík schwebt zwischen dem zum Schein verständnisvollen Menschenfreund und dem Kerl, der plötzlich einzulenken weiß. Milan Němec in der Gestalt des bedrückten Ehemanns Amos gewinnt die Sympathien nicht durch schauspielerische Erpressung des Publikums, sondern eher als ein Tölpel, der sich weder in seiner Frau noch in der blutdürstigen Umgebung auskennt.
Die Bissigkeit und Stacheligkeit, die die Regie mittels Karikaturen beleuchtet, eskaliert am Ende in einen wirklich bitteren Punkt. Die zwei Schönen bedanken sich bei dem Publikum für die Glaube in ihre Unschuld und werfen die Danksagungen dem Herr Gott und die Rosen in den Zuschauerraum. Sie werden bitter spüren, wie die Lüge in wunderschönem Kleid verführerisch aussehen kann oder wie sie sich in den wunderschön gepfefferten Jazz zu verstecken weiß.
Chicago in Brno – Musical über unsere falsche Welt
Peter Stoličný 31. März 2011 zdroj www.musical-opereta.cz
Chicago in Brno – Musical über unsere falsche Welt
Der Regisseur Stanislav Moša in der Zusammenarbeit mit dem Bühnenbildner Jaroslav Milfajt und der Choreographinnen Aneta Majerová und Hana Kratochvilová und mit dem Dirigenten Ondřej Tajovský führte das Musical Chicago an. Ich bin mir nicht sicher, in welchem Maß die Einhaltung der originellen Werkkonzeption von den Inhabern der Autorenrechte, resp. von der Originalproduktion verlangt wird. Es ist die Tatsache, dass es auf allen Bühnen, wo ich Chicago sah, beinahe auf dieselbe Weise inszeniert wird. Es wäre doch nicht Stanislav Moša, wenn er das Musical mit seiner eigenen Darlegung nicht aufführen würde. In die Geschichte der Mörderinnen aus einem Gefängnis in Chicago legte er viel mehr Humor und Übertreibung ein, als wir in den Imitationen der originellen Versionen finden konnten. Zum Beispiel die groteske Bebilderung der einzelnen Mörder, wie in einer minimalistischen Comicsrealisierung (der Choreograph Fosse war in seinen Tanzkreationen immer ein Minimalist, ihm würde es sicher gefallen), oder die Auswahl der Szene, die an einen kreisrunden Zirkuskäfig für Raubtiere erinnert. Oder die Zirkusdiener anstelle der Arrestantenwache mit Knüppeln, „Meister Zellophan“ in einem Clownkostüm, der dank seinem Aussehen zu tief wahrer Gestalt eines mäßigen, schmiegsamen Menschen wurde. Die auf der Szene, in jenem zweistockigen Käfig spielenden Musikanten – das ist auch ein Novum. Und sie spielten ziemlich gut, wobei sie vom Dirigenten mittels der Ansichtsbildschirme gesteuert wurden. Mit dieser nicht einfachen Situation mussten sich auch die Sängerinnen abfinden, zum Beispiel wenn sie ihr Solo in der Vorbühne hatten und das Orchester hinter ihrem Rücken stand. Lösen wir hier doch keine Regie- und Musikfinessen, wichtig ist es, dass alles funktionierte. Und es ist zu schrieben, dass es wirklich professionell war. Es wäre ganz unnötig wieder zu wiederholen – zu welchem Mal schon? -, dass das Ensemble des Stadttheaters Brno immer ausgezeichnet vorbereitet ist. Die schauspielerische und sängerische Vorbereitung sowie Tanzvorbereitung sind gut merkbar. Es kommen wieder und wieder neue Gesichter und sie sind genauso tüchtig wie jene alte.
Beinahe die ganze schauspielerische Besetzung ist in Alternierung einstudiert und wenn ich in Alternierung schreibe, dann meine ich es wortwörtlich. Im Musical gibt es keine erste (jene bessere) und zweite (jene schlechtere) Besetzung, wie es vielerorts gewöhnlich ist. Die beiden sind wirklich gleichwertig, auch wenn jeder die Rolle seinem Naturel nach anfasst. Und in diesem ist, nebenbei, die weise Hand des Regisseurs zu spüren, der die Gestalten nicht wie mit einem Kopierpapier schafft, sondern von den positiven Möglichkeiten der einzelnen Interpreten ausgehet. Und dazu tragen, wie es schon geschieht, auch die physischen Möglichkeiten der Protagonisten noch viel bei. Die Gestalt der „Gefängnismutter“ wird von Alena Antalová und Markéta Sedláčková dargestellt. Mit ihrem Aussehen und energischer Schauspielkunst ist Alena Antalová mehr eine solche Mutter, auf der anderen Seite die dunkle Stimme von Sedláčková ersetzt in der Liederinterpretation ihre zerbrechliche Konstruktion. Welche von diesen beiden ist besser? Das kann man nicht vergleichen, die beiden sind ausgezeichnet und jede von ihnen ist anders. Ebenso kann man über weitere Hauptrollen sprechen. Zwei Mörderinnen, Velma und Roxie: Ivana Vaňková und Radka Coufalová sind zu viel anders. In ihrer Gestalt, Interpretation sowie Ausdrucksmitteln. Im Gegenteil dazu Svetlana Slováková und Ivana Skálová in der „zweiten“ Besetzung sind wunderschön ähnlich. Bis es endlich in eine Schau von „zwei Schwestern“ mündet, wo sich die in Streit geratenen und aufeinander eifersüchtigen Mörderinnen finden. Und wieder jene unnötige Frage: welches Paar ist besser? Aus meiner rein persönlichen Sicht, hat mich vielleicht die Interpretierung von Velma durch die junge Slováková mehr gefesselt. Aber es ist vielleicht deswegen, dass ich sie im Sucher habe und ihr schon von ihrer Ankunft ins Stadttheater Brno den Daumen halte. Aber zum Beispiel Amos Hart, verschüchterter Mensch in der Darbietung von Milan Němec und Lukáš Vlček, war wirklich wie mit einem Kopierpapier gemacht – empfindlich, ausdrucksvoll und dabei wirklich verschüchtert (um zu begreifen, wie man eine Rolle ausdrucksvoll und gleichzeitig verschüchtert darstellen kann, muss man die Vorstellung besuchen...).
Der Rechtsanwalt Flynn, eine weitere wichtige Gestalt, wurde bei der ersten Premiere auf der Bühne von Petr Gazdík und bei der zweiten von Dušan Vitázek dargestellt. Und wieder kamen ihre physische Voraussetzungen zu Rede: Gazdík ist mehr energisch und in seinem Ausdruck mehr physisch, Vitázek ist mehr schmeichlerisch und raffiniert. Beide bilden ausgezeichnet die Vorstellung über Rechtsanwälte aus, die wir „Missstücke“ nennen würden. Eine seltsame und anspruchvolle Rolle hatte der Ansager. Schon im Musical Das Kabarett hat er die Schlüsselrolle eines gewissen Erzählers des Theaters im Theater. Eines Schaumanns, Beschwörers, Kommunikators mit den Zuschauern. Der Regisseur Moša wählte zwei Interpreten: Vojtěch Blahuta und Karel Škarka. Beide sind exzellente Klavierspieler. Den ganzen Abend lang begleiten sie in Soloauftritten oder mit dem Orchester die Gesangparte, schaffen musikalischen Hintergrund, jeder wieder auf seine eigene Weise, beide ausgezeichnet. Blahuta ist ein bisschen mehr fein in Details, Škarka ist dagegen mehr monumental, mit Aussehen sowie mit Gesten. Wählen Sie nun, wer Ihnen mehr gefällt, wenn sie sich so viel unterscheiden und trotzdem auf dieselbe Weise die Atmosphäre des Musicals unterstreichen. Ähnlich können alle Protagonisten sowie die von der originellen Ballettauffassung ausgehenden Tanzkreationen geschätzt werden. Was die Interpretationsseite betrifft, bekommt das Musical die Eins.
Ich bin nicht überzeugt, wie die Regiekonzeption von den Zuschauern angenommen wird, die andere Inszenierungen von Chicago oder (und ganz sicher) den Film gesehen haben. Vielleicht werden sie sich mit der Auffassung des Regisseurs nicht identifizieren, weil sie an eine andere Version gewöhnt sind. Ich persönlich wurde von dieser Zirkusumgebung angesprochen. Ich wurde von dieser Art des gegenwärtigen Zirkuszelts angesprochen, in dem alles vorgeht (einschließlich der Musikanten „hinter dem Käfig“). Die ganze unsere Welt ist doch ein so unglaublicher und doch realer Zirkus voll von Machinationen: Causa Čunek, falsche Juristen, betrügerische Staatsaufträge und Tunneling auf einer Seite und auf der andren Seite geheimnisvoller Mord der kleinen Anna und ähnliche wahnsinnige Verbrechen. Ist das vielleicht nicht unser eigener „Zirkus Chicago“?
Das tragikomische Element, das den Ballettmeister Fosse und den Librettisten Ebba gefesselt hat, ist die Sehnsucht nach Ruhm und Publizität jener sehr simplen Mädchen, die wegen einem Mord in die Gefängniszelle gerieten. Roxie und Velma stehlen sich einander die Einfälle, wie sich populär zu machen, nur damit die Zeitungen über ihnen schreiben. Sie würden alles machen um berühmt zu werden und sie vergessen sogar, dass es ihnen um den Hals geht. Der Ruhm ist wichtiger. Und die Leute aus Medien dort draußen? Es ist eine Bande, die nach den Sensationen sucht, weil die Leser und Zuschauer Schüsse hören und Blut sehen wollen. Eine kleine Abbiegung: gestern fuhr ich an der Autobahn D1 und in der Gegenfahrbahn kam es zu einem schrecklichen Unfall. Krankenwagen, Feuerwehr, Hubschrauber, Rettungswägen. Und in meiner Fahrbahn? Gleich kam es zu zwei kleinen Unfällen, wie die Fahrer neugierig waren, wie viel Leichen auf jener anderen Seite vielleicht zu sehen sind. Nur wenige wissen es zu gestehen, aber der Mensch ist leider sehr oft so gemacht, dass er nach fremdem Unglück gierig ist...
Vielleicht deswegen ist das Musical Chicago keine Geschichte aus dem Jahre 1924. Es ist ein tragikomisches Drama über uns, über unsere Welt, in der wir leben. Traurige Erkenntnis... . Auf der anderen Seite wird uns eine Form des Musicals mit allen Ausdrucksmitteln, die das Genre mitbringt, immer angenehm unterhalten, auch wenn es im Hintergrund das Bewusstsein gibt, dass wir nicht das alte Amerika sondern uns selbst und unsere Welt ansehen. Und das ist, meiner Meinung nach, auch die Absicht der Regie, die erfüllt wurde. Chicago ist nach Brno mit allem Pomp sowie mit immer noch gültigem Appell zurückgekommen
Chicago: Rezension des Tschechischen Rundfunks 3 – Station Vltava
David Kroča 1. Dezember -1 zdroj Tschechischen Rundfunks 3 – Station Vltava
Chicago: Rezension des Tschechischen Rundfunks 3 – Station Vltava
Nach Den Elenden, Evita oder Mary Poppins wurde im Stadttheater Brno ein anderes weltberühmtes Musical aufgeführt. Die Premiere von Chicago fand 1975 auf Broadway statt und schon drei Jahre später wurde es in dem damaligen Theater der Gebrüder Mrštík einstudiert. Verdienste um die Rückkehr dieses Musicals auf die Bühne in Brno erwarb sich das vom hiesigen Prinzipal und Regisseur Stanislav Moša geführte Team.
Ich gebe zu, dass ich die Idee des Regisseurs Stanislav Moša, Chicago als eine Parabel über den Einfluss von Medien vorzustellen, sehr sympathisch finde. Die Überschätzung der medialen Nachrichten und die Formung der so genannten Zelebritäten sind aktuelle Themen, die wir auf unseren Bühnen leider nicht oft treffen. Im Musical werden sie durch die wirkliche Geschichte von zwei Mörderinnen vergegenwärtigt, die mit der Hilfe ihres erfahrenen Rechtsanwalts und der medialen Kampagne nicht verurteilt wurden, auch wenn sie das Verbrechen nachweisbar begangen.
Die Protagonistinnen von Roxie Hart und Velma Kelly begegnen sich in den zwanziger Jahren letzten Jahrhunderts in einem Gefängnis für Frauen in Chicago, also in der Zeit, wann Korruption, Gewalt und organisierte Kriminalität die Stadt beherrschen. Die Einstudierung in Brno bekennt sich zur Tradition der originellen Broadway-Inszenierung, so dass sich die Umgebung des Gefängnisses für Frauen mit dem Bild einer Zirkusmanege oder eines Kabaretts vermischt. Jede Episode der Geschichte ist so auch eine Revue-Nummer, die ihre eigene Gradation und Pointe hat.
Einfallsreiche, dreistockige Szene von Jaroslav Milfajt stellt ein stilisiertes Gefängnis mit getrennten Zellen dar, in denen sich nicht nur die anmutigen Akteurinnen, sondern auch die einzelnen Mitglieder des siebzehnköpfigen, live spielenden Orchesters befinden. Dem Bühnenraum dominiert ein Klavierflügel, dessen Konturen durch die Kurve von farbigen Glühlampen unterstrichen sind und hinter dem der Ansager – markante Figur des Bühnenclowns und Glossators, in der Vojtěch Blahuta a Karel Škarka alternieren, präludiert. Der Erfolg dieser Jazz-Oper hängt doch von den Leistungen der beiden weiblichen Hauptgestalten ab. In der Gestalt von Roxie alternieren Radka Coufalová und Ivana Skálová, Velma wird durch Svetlana Slováková und Ivana Vaňková alterniert. Eine Entdeckung nicht nur für die Zukunft des Musicals in Brno ist, meiner Meinung nach, Svetlana Slováková, die – ebenso wie ihre Kolleginnen, präzis tanzt und singt, die aber darüber hinaus den Tanzauftritten der energischen Velma eine gewisse Leichtigkeit und Virtuosität verleiht.
Die Regie versucht, eine frostige Atmosphäre auszubilden, in der eine wichtige Rolle auch erotisches Funkeln hat. Die anmutigen Schauspielerinnen treten in spärlichen Kostümen von Andrea Kučerová aus, die manches Mal nur in Strumpfhaltern und schwarzer Unterwäsche bestehen. Der Raum für Liebesgespaß ist dann auch eine enge Gefängniszelle oder die Platte des Klavierflügels. Gewalt, Ehebrüche und Perfidien sind kurz und gut Eigenschaften, die den Helden der Geschichte „teuer und nah“ sind, wie der Ansager sagt.
Mir gefallen die Choreographieelemente im Stil von Bob Fosse, in dem Sinnlichkeit raffiniert und jedes Detail der stilisierten Bewegung wichtig ist. In diesem Sinne ist vor allem die Szene der Verhandlung zur Vollkommenheit gebracht, in der sich der Rechtsanwalt in der Darbietung von Dušan Vitázek oder Petr Gazdík mit seinen Rechtstricken weidet, die er mit einer raffinierter Stepptanznummer darstellt. Mit jedem gemachten Schritt und Vorstoß scheint er zu sagen: sehen sie, wie es einfach ist, die Menschen zu verblöden. Nicht nur wegen dieser Erkenntnis lohnt man, die Inszenierung des berühmten Musicals in Brno zu besuchen.