Bella Figura: eine Inszenierung, die dem Stadttheater wirklich steht
Josef Meszáros 11. Oktober 2021 zdroj www.scena.cz
Das Stadttheater Brno bringt als tschechische Premiere einen weiteren Titel der französischen Dramatikerin Yasmina Reza auf die Bühne: BELLA FIGURA. Einen weiteren Titel, der von den Maßnahmen gegen die Covid-Pandemie getroffen wurde. Doch auch diese Erschwernisse konnten der Inszenierung nichts von ihrer delikaten Ironie, ihrem Sarkasmus und ihrer leichten Schärfe nehmen. Anders können wir uns das bei Yasmina Reza auch gar nicht mehr vorstellen. In der Tat hat die Autorin gegenüber dem Gott des Gemetzels die Grobheit und Brutalität etwas zurückgenommen, aber dennoch ist von all dem eine Prise vorhanden.
Als erstes Werk der Autorin, das seinen Weg auf eine tschechische Bühne fand, wurde das Theaterstück Kunst im Jahr 1995 bei den Prager städtischen Theatern aufgeführt. Diese Inszenierung wurde in der Folge u. a. im Jahr 2007 im Theater Na Jezerce oder 2016 im Theater Bez zábradlí gezeigt.
An weiteren Inszenierungen sei das Stück Drei Mal Leben genannt, das erstmals 2002 am Nationaltheater Brno gespielt wurde. Ein regelrechter Geysir wurde die Inszenierung Der Gott des Gemetzels, welche erstmals 2008 am F.-X.-Šalda-Theater aufgeführt wurde (und anschließend nach und nach auf zwölf weiteren Bühnen, zuletzt 2021 am Mittelböhmischen Theater Kladno). Was dürfen wir also von Bella Figura als der bislang letzten tschechischen Premiere erwarten?
Regisseur Mikoláš Tyc setzte auf präzisen schauspielerischen Ausdruck und ließ manche Situationen hervorragend pointieren – ein Teil davon war daraufhin leicht peinlich, andere dagegen schwer. Ganz so, wie von der Autorin in der Vorlage intendiert. Auf den ersten Blick erinnert mich die Szene, aber auch die Dialoge leicht an Federico Fellinis berühmten Film La dolce vita, und man muss sagen, dass sich eine entfernte, aber dennoch vorhandene Verbindung finden ließe.
Im linken Teil der Bühne steht ein rotes westliches Auto. Der Zuschauer wird Zeuge, wie Andrea (Lucie Bergerová) und Boris Amete (Alan Novotný) einen Liebesdialog voller Unstimmigkeiten führen. Die Vorstellung von einem romantischen Stelldichein in irgendeinem provinziellen Restaurant, das noch dazu Boris’ Ehefrau empfohlen hat, verfliegt nach und nach, ähnlich wie das Quaken der Frösche. Der Streit erreicht seinen Höhepunkt, Boris und Andrea fahren gemeinsam davon. Au dem Parkplatz kommt es zu einem Unfall. Mit dem Auto fahren sie Yvonne Blum (Zdena Herfortová) an, welche zu ihrer Geburtstagsfeier von ihrem Sohn (Aleš Slanina) und Françoise Hirt, seiner Partnerin oder Ehefrau (Lenka Janíková), begleitet wird. Zu dem Quintett der Akteure kommt noch der Kellner (Luboš Goby) hinzu.
Jeder der Protagonisten gibt seiner Figur die angemessene Dosis an schauspielerischem Ausdruck und Haltung. Lucie Bergerová als Andrea ist eine selbstbewusste Geliebte, die sich jedoch nicht ganz wohl in ihrer Haut fühlt. Dennoch ist sie sich ihrer Position als Liebhaberin voll bewusst. Das Problem ist, dass sie und Boris nicht klar die Regeln einer bevorzugten Geliebten festgelegt haben.
Alan Novotný als Boris Amete sieht sich gleich von mehreren Seiten unter Druck gesetzt. Einerseits sind da die Ansprüche seiner unzufriedenen Geliebten. Dann trifft ihn auch der Misserfolg in seiner unternehmerischen Tätigkeit. Ob dies nun schlimmer ist als die Begegnung mit der besten Freundin seiner Gattin Françoise, welche seine Liebesbeziehung aufdeckt, das sei dem Urteil jedes einzelnen Zuschauers überlassen. Eric Blum, gespielt von Aleš Slanina (übrigens einem bereits sehr reifen Schauspieler), bewegt sich im Grenzbereich zwischen einem erfahrenen Rechtsanwalt, einem vorbildlichen Partner und Ehemann und einem noch vorbildlicheren und steiferen Sohn. Er strotzt vor stoischer Ruhe und einem feinen, bisweilen auch peinlichen Humor. Er bemüht sich, stets im Vordergrund zu stehen, aber wie es sich für einen Beamten im Anzug mit Ärmelschonern gehört, ist eine gewisse Dosis an aufdringlicher Unterwürfigkeit nicht zu übersehen. Desto mehr erstaunt es, wie er sich aus dem Gleichgewicht bringen lässt und seine Emotionen explosiv zutage treten.
Zdena Herfortová bildet die goldene Mitte der gesamten Inszenierung. Leicht zerstreut, menschlich wahrhaftig, ist sie dank ihrer Vergesslichkeit, einer unbarmherzigen Begleiterscheinung ihres Alters, in ihren Emotionen und Ansichten ätherisch unstet. Jedoch immer ruhig und locker und in ihrem schauspielerischen Ausdruck brillant, wobei sie freilich keiner anderen Generation angehört als die übrigen Akteure. Lenka Janíková als Françoise Hirt ist distanziert, hart, jedoch nach außen hin gegenüber Eric entgegenkommend und liebevoll. In der Beziehung zu ihrer Freundin, der Ehefrau von Boris, ist sie unnachgiebig. Doch ist auch sie in bestimmen Augenblicken der Handlung in der Lage, aufzutauen und das Eis zu brechen, hinter der sich ihre wahre Natur verbirgt.
Die Inszenierung Bella Figura steht dem Stadttheater wirklich ausgezeichnet. Als Zuschauer genießt man den einfühlsamen, bisweilen aber auch messerscharfen Humor. Regisseur Mikoláš Tyc hat es geschafft, mit allen Windungen und allen Geschwindigkeitsebenen des Textes von Yasmína Reza zurechtzukommen.
Bella Figura. Eine Schau der kommunikativen Peinlichkeiten im Stadttheater Brno
Peter Stoličný 8. Oktober 2021 zdroj www.kultura21.cz
Der italienische Charakter – eine kurze Präsentation der italienischen Kommunikationsweise, wie sie wohl erstmals der Feuilletonist Bepe Severgnini beschrieb. Ja, das ist der Fachausdruck Bella Figura. Er ist der treffende Titel eines Stücks der Dramatikerin Yasmina Reza, welches seine Premiere unter der Regie der Autorin im Jahr 2017 in Toulon hatte.
„La bella figura“ ist nicht nur der Titel dieses Stücks. Es ist vielmehr ein Komplex von Gedankengängen und Handlungen, und das – gestehen wir es uns ein – nicht nur im italienischen Kontext. Dazu gehören die Gesten, das Outfit von der Frisur bis zum Schuhwerk und natürlich die Kommunikation als solche. Es geht um das Urteil, wie ein Mensch auf andere wirkt und wie er auch an sich selbst denkt. Bella Figura ist ein Komplex von Beziehungshandlungen, die allgemein zu dieser oder jener Gesellschaftsschicht gehören.
Yasmina Reza kennen wir bereits von ihrer am Stadttheater Brno gespielten Inszenierung Kunst, in der sich die Figuren in einem geschliffenen Dialog über den Wert eines abstrakten Gemäldes streiten. Wie schon bei der letzten Premiere haben die Texte der Autorin eine besondere, glaubwürdige Diktion. Es ist eine Freude, der Flut an Dialogen zuzuhören, die plötzlichen Änderungen nicht nur des Tempos, sondern auch der Inhalte wahrzunehmen, welche stets logisch ineinandergreifen. Diese Präzision der Bedeutungen ruft beim Zuschauer Freude hervor, er spürt, dass alles so abläuft, wie es soll. Keine unerwarteten Überraschungen, keine inszenatorischen Tricks, welche das Publikum befremden würden. Alles spielt sich in logischen Konfrontationen und mit geschliffenem sprachlichem Ausdruck ab.
Die Dialoge des Stücks stoßen auf ein gewisses Problem – und das ist die städtische Sprache. So etwas wie Bühnenrede. Der Übersetzer des Stücks, Michal Lázňovský, hat es geschafft, die lebhaften Dialoge der Autorin in eine unauffällige, doch allseitig hochwertige tschechische Sprache zu übertragen. Und so fließen die Worte und Sätze denn munter dahin – Aufschneiderei und Beleidigungen, aber auch mustergültige Missverständnisse, die beim Publikum bisweilen Lachsalven hervorrufen, ihm jedoch ab und zu, dank dem perfekten Timing der Verbalattacken, auch kalte Schauer den Rücken herunterlaufen lassen.
Diese Fragen und Ansichten sind nicht nur französisch, wie die Autorin sie präsentiert. Sie sind allgemeingültig: Erfolgreiche Menschen der mittleren Generation enthüllen nach und nach ihre Depressionen. Auslöser sind mal Misserfolge im Geschäftsleben, in der Karriere, mal Misserfolge in der Ehe oder in erotischen Abenteuern, mal Zukunftsängste. Diese Menschen stopfen sich mit Tabletten voll, ertränken ihre Probleme im Alkohol, sind bisweilen extravagant, ein andermal ratlos. Und in diesem Tollhaus sitzt eine um eine Generation ältere Frau. Weise, erfahren, doch ebenso ratlos wie ihre Verwandtschaft um sie herum. Es sollte eine Begegnung zum Anlass von Mutters Geburtstag werden. Aber etwas ist hier schiefgegangen. Oder besser gesagt, es ist alles schiefgegangen, und als Zuschauer weiß man bisweilen nicht, ob man darüber lachen oder heulen soll.
Regisseur der bitterbösen Komödie Bella Figura ist Mikoláš Tyc. Er führt die fünf handelnden Personen in behutsamer Weise, alles wurde den Werten des Textes untergeordnet, und das war eine richtige Entscheidung. Richtig war auch die Wahl des nahezu neutralen Bühnenbilds von Andrej Ďurík und der Kostüme von Petra Krčmářová. Die Figuren wurden so gekleidet, dass jede durch ihr Äußeres so viel wie möglich von ihrem Charakter preisgibt.
Zur musikalischen Seite der Inszenierung trug mit einem Interludium auch Lukáš Janota bei. Ursprünglich studierter Klarinettist, zeigte der Schauspieler des Stadttheaters Brno wieder einmal, dass er nicht „nur“ ein Musicalakteur dieses Theaters, sondern auch ein talentierter Musiker ist.
Eine Rezension sollte auch Raum für eine Bewertung der einzelnen Schauspieler bieten. Sie mögen mir verzeihen, dass ich sie alle „in einem Aufwasch“ nenne, denn alle waren ausgezeichnet und glaubwürdig. Besonders muss ich jedoch Frau Herfortová hervorheben, die in der Rolle der Yvonne Blum den wunderbaren Part eines Doyens der ganzen Gesellschaft, einer Dame mit Eleganz und Bravour übernahm.
Habe ich noch etwas vergessen …? Ja, der Dramaturg dieser gelungenen Inszenierung ist Jan Šotkovský, der gern interessante Titel sucht und findet, mit denen er das Repertoire der Bühne bereichert.