SO EINE UNGLÜCKLICHE FAMILIE
Luboš Mareček 12. März 2019 zdroj Lidové noviny
Das Stadttheater Brno hat eine neue Dramatisierung des berühmten Romans Anna Karenina auf die Bühne gebracht. (…) In der Brünner Inszenierung werden allerdings nicht allein die Liebespirouetten und die psychischen Entwicklungen einer Frau beleuchtet, die die Ruhe am heimischen Kamin einer verzehrenden Leidenschaft opfert. (…) Die übersichtliche und leicht verständliche Dramatisierung von Jiří Záviš betont die Tragödie des Hauses Karenin im Kontrast zu den verschiedenen Formen des familiären Glücks bei den Oblonskis und Ljewins. (…) Gerade durch diese akzentuierten Gegensätze ist Závišs Szenario originell und auch die damit harmonierende Regie Gazdíks interessant. (…) Zentrales Thema bleibt natürlich die Liebe in ihren verschiedensten Erscheinungsformen – die eheliche, die außereheliche, die elterliche, die geschwisterliche, aber auch die Liebe zum Beruf. (…) Im Mittelpunkt steht natürlich die schauspielerische Leistung von Ivana Vaňková, die insbesondere im Finale meisterhaft Annas Ambivalenz zwischen Gewissensbissen, Eifersucht, Hysterie und Morphium einfängt. Vaňková suggeriert gleichzeitig überzeugend die unerträgliche Last ihrer verzweifelten Situation, welche sie schließlich dazu bringt, sic vor einen Zug zu werfen. Mit der suggestiven, nicht zu ausgeschmückten Leistung Vaňkovás steht und fällt im Grunde diese ganze weitverzweigte Inszenierung. Und sie steht sehr gut.
EINE GLÄNZENDE ANNA KARENINA IM STADTTHEATER
Jiří P. Kříž 9. März 2019 zdroj Právo
Was für ein großes und nach einhundertvierzig Jahren schon nachgerade unsterbliches Thema in der Weltliteratur Anna Karenina vertritt, zeigt Regisseur Petr Gazdík eindrücklich im Stadttheater Brno. (…) Die Kraft liegt in Tolstoj, nicht in Deformationen seines Romans. Dies alles hat der erfahrene Gazdík in Jiří Závišs Dramatisierung beibehalten, und so werden wir denn in den höheren, dem Autor nahestehenden aristokratischen Kreisen, wo Tolstojs Weltsicht und seine Bewunderung des ländlichen Lebensstils spürbar werden, Zeugen der Zurückweisung eines Bräutigams, vor allem aber des Entflammens der in einer konventionellen Ehe mit großem Altersunterschied lebenden Titelhelden für den Salonlöwen Wronskij. Doch die Gesellschaft ist unbarmherzig. Dominierende Handlungslinien sind daher das Thema der untreuen Ehefrau und ihres Untergangs, eine Sonde in den Edelmut, dessen treibende Kraft allerdings nur die Karriere ist, das Sujet des Kampfes um den kleinen Sohn, und dies alles vor dem Hintergrund der verwickelten Beziehungen von Dutzenden weiterer Figuren dieses Werks. (…) Erwähnung verdient wenigstens noch Ivana Vaňková, die ihre Anna präzise bis ins kleinste Detail als eine von den Gefühlen hin- und hergeworfene, sich selbst verachtende, verzweifelte Ehefrau, Geliebte und Mutter zeichnet. Ebenso eindringliche Charaktere schaffen Jiří Mach (Wronskij), Petr Gazdík (Ljewin) oder Jan Mazák (Karenin). (…)
DIE FIGUR DER ANNA ALS BRILLANT IN EINEM RING
(tr) 26. Februar 2019 zdroj www.brnozurnal.cz
(…) Ivana Vaňková spielt Anna nicht nur auf der Bühne, sie lebt diese Figur. (…) Sie übertreibt nicht, ihre tiefen Emotionen sind in ihrem Gesicht, in ihren gemessenen Gesten zu erkennen, bei ihrem Wehklagen kommt ihre ausdrucksvolle Stimme herrlich zur Geltung. (…) Einen geschickten Zug tat der Regisseur, indem er die Rolle ihres Gatten mit Jan Mazák besetzte, dessen typisches Timbre perfekt zur Figur des hohen Staatsbeamten passt. In seinem Hass gegenüber Anna ist er kalt und unnachgiebig, er versucht ihr zu verzeihen, wahrt jedoch seine Distanz. (…) Anna Karenina hat sich mehr als andere klassische Werke seine Aktualität bis heute bewahrt. Wenn wir die Romandialoge lesen oder den Figuren auf der Bühne des Stadttheaters Brno lauschen, dann hören wir ganz moderne Ansichten zum Thema Familie, die schon zu Tolstois Zeiten in ganz Europa eine Krise erlebte. (…) Regisseur Gazdík nutzt die leicht umzubauende Szene von Emil Konečný zu filmisch raschen Einblendungen. Bei den Kostümen konnte sich Eliška Lupačová Ondráčková ordentlich ausleben. (…) Großes Lob hat wiederum Petr Hloušek für seine Projektionen verdient. (…) Bei der Wahl der Musik bleibt Gazdík sehr nüchtern, nur in Momenten höchster Spannung erkling kurz das Klavier oder das Orchester. Die Inszenierung zählt zum Besten, was wir in letzter Zeit auf der Schauspielbühne erleben durften.